Gesichtlesen weiß: jedes Gesicht ist einzigartig. Augen, Nase, Mund, Ohren, Falten und noch so winzige Veränderungen im Gesicht sprechen Bände über uns. Und: sie offenbaren unsere Gesundheit, Denkweise, Persönlichkeit, Talente und sogar Lebensaufgabe. Was ein Gesicht über uns sagt, das weiß Eric Standop. Über 30.000 Gesichter hat er als Face Reader bereits analysiert. Wir haben ihn getroffen und uns mit ihm über Gesichtlesen unterhalten …
Die unterhaltendste Fläche auf der Erde für uns ist die des menschlichen Gesichts.
Georg Christoph Lichtenberg

yoga.ZEIT: Eric, wie kam das, dass aus dir ein Gesichtleser wurde?
Eric Standop: Ich war ursprünglich zwanzig Jahre lang in Deutschland in der Unterhaltungsbranche tätig. Im Management, als klassischer „Karriere-Tiger“. Mitte 30 kam dann das erste Burnout, bei dem ich mir eine kurze Auszeit gönnte und obwohl ich bei meiner Rückkehr einiges ändern wollte, machte ich weiter wie bisher. Ja und mit 37 kam das zweite Burnout, gepaart mit einigen Erkrankungen. So packte ich meine Sachen, ging auf Reisen. Und da kam eines Tages in Südafrika am Strand ein alter Mann in zerlumpten Kleidern auf mich zu, der mir anbot, mein Gesicht zu lesen. Ich war allerdings äußerst skeptisch. Für mich als „Zahlen-Daten-Fakten-Mensch“ war das alles nur Hokuspokus. Doch weil er meinen Charakter und meine Krankheitsgeschichte derart genau erfasste, dachte ich „Das will ich auch können!“ Zunächst nur, damit ich es beruflich einsetzen konnte, um noch mehr zu wissen über meine Mitarbeiter oder Verhandlungspartner. Aber irgendwann, hat’s mich dann gepackt.
yoga.ZEIT: Und wie ging’s weiter? Wo und wie lernt man Gesichtlesen?
Eric Standop: Ich bereiste über zehn Jahre Europa, Südamerika und Asien um bei Meistern unterschiedliche Techniken zu erlernen. Ich studierte bei ihnen, studierte Antlitze – in Kindergärten, Schulen, Gefängnissen, auf öffentlichen Plätzen, überall. In Hong Kong begegnete ich schließlich meinem Lehrmeister, der mir etwa sechs Jahre lang die grundlegenden Bedeutungen von Energie, Lebensaufgaben und Schicksal beibrachte – ohne, dass ich ein Wort mitschreiben oder Fragen stellen durfte. So nahm das seinen Weg. Und das ist nur die kürzeste Kurzversion.
yoga.ZEIT: Ist Gesichtlesen nun eher eine Technik oder eine Art geheime Wissenschaft?
Eric Standop: Alle Kulturen auf der ganzen Welt hatten oder haben oder hatten eine Form des Gesichtslesens – im alten Ägypten, Griechenland, Indien, in Südamerika, in China und so weiter. Gesichtlesen kann jeder erlernen. Tut jeder von uns, schon immer. Wir alle können erkennen, ob ein Gegenüber eine lange Nacht hatte, sympathisch wirkt, traurig oder schüchtern ist. Dass unser Gesicht viel über uns verrät, drückt sich ja auch in unserer Sprache aus, wenn wir sagen „Halt die Ohren steif!“ oder „Der kann dir nicht die Stirn bieten“. Bezogen auf die Techniken gibt es weltweit an die 20 bis 30 Arten, Gesichter zu lesen – etwa die Blickdiagnose, die Antlitz-Diagnostik, die Sonnerschau, Physiognomik etc. Ich selbst arbeite mit acht verschiedenen Techniken, die ich verknüpfe.
yoga.ZEIT: Wie läuft so ein Gesichtlesen und Face Reading ab? Was kannst du alles erkennen?
Eric Standop: Da gibt es zwei Ansätze. Der erste ist das Speed Reading. Dabei schaue ich dir ins Gesicht, achte auf Merkmale wie Augen, Nase, Kinn, Ohren, Haaransatz oder Gesichtsform und gebe dann wieder, was ich sehe. Beim zweiten Ansatz bin ich noch gründlicher. Da notiere ich mir in eine Gesichtsvorlage auf einem Blatt Papier Merkmale deines Gesichts, die für die Themen des Readings relevant sind. Also je nach Themen, um die es geht, je nach Kontext in dem das Face Reading stattfindet. Denn wenn du beispielsweise wissen willst, was deine Lebensaufgabe ist, achte ich auf andere Indizien, als bei einer Beratung zu deinem Liebesleben.
Wenn ich für ein Unternehmen Mitarbeiter*innen-Readings mache, lese ich anders als wenn ich bei der Polizei einem Verhör beiwohne. Und während ich nun lese, unterhalte ich mich mit der Person, um darauf zu achten, wie sich die 43 Gesichtsmuskeln beim Sprechen verhalten, wie es um die Mimik steht. Denn auch das, sagt sehr viel über das Gesicht, über den Menschen aus. Und dann füge ich all das in etwa 10 bis 15 Minuten zusammen und lege in einer etwa einstündigen Sitzung dar, was ich erkenne.
yoga.ZEIT: Und was liest du aus dem Gesicht heraus?
Eric Standop: Alles. Dafür ist das Gesicht gemacht. Alles endet oder beginnt in unserem Gesicht. Körper, Organe, Sinne stehen über Nerven mit unserem Gesicht in Verbindung. So kann man je nach Reading Lebensaufgaben, Talente, Sexualität, Liebesleben, Ernährungsweisen, Krankheiten, Persönlichkeit, Charakter bis hin zum Schicksal erkennen.
yoga.ZEIT: Inwiefern unterscheiden sich Persönlichkeit und Charakter?
Eric Standop: Grundlegende Themen im Leben lese ich an der Persönlichkeit, wenn jemand Fragen hat wie „Wozu bin ich hier?“, „Was sind meine Stärken?“, „Warum fühle ich mich unglücklich?“. Charakter lese ich, wenn es um aktuelle Situationen geht, bei Verhören oder Einstellungsgesprächen. Man kann sagen Persönlichkeit ist chronisch, denn diese baut sich über viele Jahre auf. Der Charakter ist jedoch akut – der kann sich sehr schnell ändern.
yoga.ZEIT: Gibt es im Gesichtlesen nicht auch kulturelle Unterschiede?
Eric Standop: Da sag ich immer: wir sind alle gleich und doch sehr individuell. Egal woher wir kommen, ob wir Deutscher, Österreicherin oder Südafrikaner sind. Wir alle haben alle 43 Muskeln im Gesicht, wir haben alle Augen, Nasen, Mund und drücken Zorn, Wut und Trauer gleich aus. Sicher gehe ich in meiner Beratung auf kulturelle Gepflogenheiten ein, aber im Gesicht ähneln wir uns mehr als wir glauben.

yoga.ZEIT: Inwiefern spielen gewollte oder auch nicht gewollte Eingriffe ins Gesicht eine Rolle?
Eric Standop: Je mehr Eingriffe ins Gesicht, desto größer die Herausforderung. Vor allem bei plastischer Chirurgie. Da muss ich spiegelverkehrt lesen und überlegen, wofür das, was du machen hast lassen, steht. Bei Botox ist es anders. Botox löscht erstmal nur Falten, was im übertragenen Sinn heißen würde, das jemand Seiten aus seinem Gesichtsbuch rausgerissen hat. Doch für mich bleibt immer noch genug Lesestoff übrig.
yoga.ZEIT: Kann man denn als Gesichtsleser dann noch durch die Welt gehen, ohne jemand sofort zu lesen?
Eric Standop: Meinen Schüler/innen rate ich, dass sie spätestens nach dem ersten Jahr lernen müssen, das Gesichtlesen auszublenden, weil es sonst anstrengend wird. Das Angesicht ist ein Buch, an dem wir ein Leben lang schreiben und man kann nicht ständig Bücher lesen! Deshalb: nein, ich lese nicht immer. Manchmal ertappe ich mich dabei – wenn ich zum Beispiel am Flughafen-Gate warte – dass ich mir das eine oder andere Gesicht genauer anschaue. Aber das passiert aus der Langeweile heraus. Oft fragen mich die Menschen auch, ob man sich als Gesichtsleser überhaupt verlieben könnte. Da antworte ich meist: 1. Liebe macht blind. 2. selbst wenn ich im Gesichts eines Menschen eine Bauchspeicheldrüsenproblematik feststelle, könnte mich das nicht daran hindern, mich zu verlieben.
yoga.ZEIT: Was können denn unserer Sinnesorgane über uns alles aussagen?
Eric Standop: Nun, all unsere Sinne sind in unserem Gesicht zuhause und da muss ich jetzt aufpassen, dass ich mich kurz fasse, denn allein über die Augen könnte man jahrelang lehren.
Unsere Augen sind das „Tor zur Seele“ – das finden wir übrigens als Metapher überall auf der Welt. Ich selbst sage auch häufig, die Augen sind auf jeden Fall das Tor zum Seelischen oder zur Gefühlswelt, wobei ich für sehr verkopfte Menschen auch gerne sage „Die Augen sind das Tor zum Gehirn“, denn schließlich knüpft unser Sehnerv direkt am Gehirn an. Deshalb können wir über die Augen auch ganz viel ablesen, was sich im Gehirn abspielt und darum ist das Sehen auch so eminent wichtig. Ich glaube, wenn man Menschen fragt, auf welchen Sinn sie am ehesten verzichten würden, dann würden die wenigsten auf den Sehsinn verzichten. Die Augen stehen für das Intimes, Tiefgründiges, für das Seelische, Private. Deshalb verändern sich die Augen auch danach, was ich denke und wie ich ticke.
Die Nase steht für Arbeit und Wohlstand beziehungsweise kann man daran Arbeitsverhalten und Arbeitsweisen ablesen.
Wer nicht Hören will, muss Fühlen. Deshalb schaue ich auf die Ohren, bei allen Themen bei denen es um
Früherkennung geht. Bei den Chinesen werden die Ohren auch immer mit der
Kindheit in Verbindung gebracht, denn die Ohren haben immer etwas mit dem
Verarbeiten der Kindheit zu tun. Die Ohren stehen auch für Durchhaltevermögen,
für Entscheidungsfreudigkeit und auch für die innere Unruhe.
Der Mund steht für die drei K’s – Küssen, Kommunikation und Kreativität.
Fühlen wird beim Gesichtlesen auch über den Mund begriffen, weil die Kinder alles in den Mund stecken um zu fühlen, weil das Tasten am Anfang in den Finger noch nicht gut entwickelt ist. Deshalb bitte nicht den Kindern verbieten, Dinge in den Mund zu stecken. Ich sage vielen Eltern, dass ihre Kinder ruhig den Sand, die Schaufel etc. in den Mund stecken lassen sollen, damit nicht nur die Immunität gesteigert wird, sondern auch um Fühlen zu können, was da los ist. Abgesehen davon, dass Kinder dadurch später gute Küsser werden, denn auch das fühlen beim Küssen will gelernt sein.
Auch unser 6. Sinn ist im Gesicht sichtbar. Und zwar als ganz bestimmte Falte über den Augenbrauen, die aber nicht zusammenwachsen kann, weil sie mehr eine Mimik-Falte ist. Intuition wird für den Gesichtleser beschreiben als „das fühlerische Erkennen der anderen Seite.“, Instinkt ist das „fühlerische Erkennen von dem, was mir selbst guttut.“ Wer beides hat, hat gutes Material für Empathie.
yoga.ZEIT: Danke vielmals für dieses Interview!
Über Eric Standop
lebt in Hong Kong und Deutschland, berät und unterrichtet als Gesichtleser Menschen in aller Welt und hat bereits zahlreiche Bücher zu diesem Thema verfasst. In Hong Kong leitet er die Academy of face reading. Der Autor ist zudem Lehrbeauftragter für Entspannungstechniken an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe.
Homepage: http://www.gesicht-lesen.de
Fotocredits: Pixabay, Unsplash, Pexels
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