“Hör einfach auf dein Herz!” – eine Ansage, die dir vielleicht schon mal zu Ohren gekommen ist. Aber ist fühlen dann denkbar besser als denken? Oder gehören Gefühle und Gedanken doch auch zusammen? Yogalehrerin Danja Lutz hat sich dazu fühlbare Gedanken gemacht …
Trend des Fühlens
Im Moment erleben wir einen Trend des Fühlens: Es wird mit viel Enthusiasmus auf das oft zitierte Herz gehört und nicht selten werden Gefühle auch schon mal zu einer indiskutablen, der Wahrheit gleichkommenden Meinung erhoben.
Diese Gefühls-Bevorzugung war in unserer Eltern-Generation eher undenkbar. Es galt, dem Verstand zu vertrauen, auch als Absicherung gegen die unberrechenbaren und sich ständig ändernden Gefühlsregungen. Nur zu glauben, was man sehen, und am besten auch beweisen konnte, war die Devise. Dieses „Entweder-Oder“ erweckt den Anschein, als wären Gedanken und Gefühle etwas voneinander getrenntes, ja eigentlich aus zwei komplett verschiedenen Universen entsprungen.
Denken und fühlen: Gar eins?
Sanskrit verwendet erstaunlicherweise nur ein Wort für die Begriffe „Gedanke“ und „Gefühl“. Beide werden als sogenannte citta-vrittis bezeichnet – Wellen oder Vibrationen des Herz-Geist-Gewebes, ständig in Bewegung und äußerst launenhaft. Für den Yogi sind Gedanke und Gefühl zwei Enden eines nahtlos ineinander verwebten Kontinuums. Die gegenseitige Beeinflussung ist intensiv und unmöglich zu unterbinden.
So entspringen Gefühle oft unbewussten Gedanken oder Gedanken-Mustern. Wenn wir in einen gefühls-dominierten Zustand rutschen, passiert das, weil wir über die Situation in einer Art denken, die diese spezifische Stimmung ermöglicht – auch wenn das manchmal vollkommen unbewusst passiert.
Nehmen wir uns Zeit zur Innenschau, entdecken wir nicht selten, dass die Woche, in der alles schiefzugehen scheint, ihren Ursprung in einem kraftraubenden oder destruktiven Gedanken nahm, den wir nicht hinterfragend einfach für bare Münze genommen haben. Mit großem Enthusiamus spinnen wir diesen dann weiter in eine „schöne“ Geschichte, die wir ab sofort für die Realität halten, und die uns immer weiter in den Sumpf der Schwere zieht.

citta-vrittis bezeichnet – Wellen oder Vibrationen des Herz-Geist-Gewebes, ständig in Bewegung und äußerst launenhaft …
Auf der anderen Seite bilden sich Gedanken auch aus versteckten Emotionen. In einem intellektuellen Umfeld wird Wissen oft zum Ausdruck gebracht, als ob es in einem Vakuum existieren würde, vollkommen abgeschieden von der Lebensgeschichte des Denkenden. Aber nichts auf diesem Planeten existiert nur für sich und meist haben sogar scheinbar objektive und hochwissenschaftliche Unternehmungen eine enge Verknüpfung mit der emotionalen Landkarte des Forschenden. Versteckte Emotionen stiften uns auch dazu an, gewisse Meinungen und Weltbilder bis aufs Blut zu verteidigen. Diese dienen uns als Schutzmechanismus, um nicht mit den dadurch überlagerten und „in-Sicherheit-gedachten“ Emotionen in Kontakt kommen zu müssen.
Erst wenn wir die Gefühlskomponente im Gedanken und den Gedanken, der sich hinter einem Gefühl versteckt, enttarnen, bringen wir die Gesamtheit der dichten Struktur unseres inneren Geschehens zu voller Bewusstheit. Und diese Bewusstheit hilft uns zu verstehen, dass „Höre auf dein Herz“ nichts mit Gefühlen zu tun hat.
Hrdaya – Das spirituelle Herz
Wenn wir davon sprechen, auf das wahrhaftige Herz zu hören, meinen wir jenen Ort, der im Sanskrit den Begriff hrdaya zugeschrieben bekommt: das metaphysische, spirituelle Herz. Eines, das jenseits von Gedanken und Gefühlen existiert. Als das tiefste Zentrum unseres Seins.
Die Weisheit, die sich von hier entfaltet, nennen wir im Tantra pratibha. Dabei handelt es sich um die intuitive Einsicht, kreative Inspiration, ein inneres Wissen, eine feine Wahrnehmung, in welche Richtung die Brise des Lebens weht und wohin sie dich mitnehmen möchte.
Der wohl größte Unterschied zu den Sehnsüchten des Herz-Geist-Schwingungen ist, dass die Impulse, die wir aus hrydaya erhalten, sich immer zum Wohle des großen Ganzen entfalten. Während es hingegen im Bereich der citta-vrittis um den individuellen Nutzen geht.

pratibha – intuitive Einsicht, kreative Inspiration, ein inneres Wissen, eine feine Wahrnehmung, in welche Richtung die Brise des Lebens weht und wohin sie dich mitnehmen möchte.
Gefühl versus Intuition
Pratibha ist außerdem langsam, dauerhaft und unaufhaltsam. Während die Gedanken-Gefühls-Welt sich wechselnd und launenhaft präsentiert. An einem Tag bist du überzeugt davon, Variante A wählen zu müssen und am anderen Tag scheint Variante B plötzlich die einzig richtige Lösung.
Eine klare Unterscheidung zwischen der emotionalen Seite des konditionierten Selbst und der ruhigen, wortlosen Intuition unseres tiefsten Seins fällt uns oft schwer, wenn wir im Inneren keine Ruhe finden. Dann können wir diese uns immanente Fähigkeit nicht wahrnehmen und hören nur die lauten und sich ständig verändernden citta vrittis.
So gilt es also leise zu werden, unter die rauschenden Wellen zu tauchen. Und uns tragen zu lassen von pratibha, dem wortlosen Strom des inneren Wissens oder wie Rumi es ausdrückte:
“Let yourself be silently drawn by the strange pull of what you really love.“
Fotocredit Sujetbild: Chang Duong (Unsplash), Pexels (1), Natalie Collins (Unsplash)
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