Austrian DRUMMER BOY
Im Gespräch mit Tabla-Spieler Christian Weiss
Es gibt in Österreich kaum einen Kirtan, bei dem er nicht dabei ist, kaum einen Mantra-Abend, bei dem er nicht den Rhythmus vorgibt demütig selbstbewusst, mit unaufdringlicher Präsenz, mit taktvoller Freiheit. Stets indisch gekleidet und die langen, etwas in die Weisheit gekommenen Haare zusammengebunden, versorgt er als „Pulsschlag der Bhakti Szene“, als „Austrian Drummer Boy“ so gut wie jedes Konzert, so gut wie jedes gemeinsame Mantra-Singen mit pochenden Wellenbädern.
Tabla-Spieler Christian Weiss ist seit Jahren fixer Bestandteil der österreichischen Kirtan-Szene. Mit seinen faszinierenden Rhythmusinstrumenten ist der Perchtoldsdorfer (der mehrere Jahre als ÖBB-Zugbegleiter auf Schienen den Takt angegeben hat) ein gefragter Begleitmusiker von Künstler/innen aus dem In- und Ausland. Lena Raubaum hat sich mit ihm unterhalten …
# Christian, du gibst dich seit mittlerweile über 20 Jahren dem Tabla-Spiel hin. Wie kam es dazu?
Den Rhythmus habe ich wohl schon seit meiner Kindheit im Blut. Meine Eltern erkannten früher oder später erkannt, dass sie nichts dagegen tun können. Mit allen möglichen Mitteln hab ich damals getrommelt; Kochtöpfe und Waschmittel-Trommeln waren meine Instrumente. Irgendwann bekam ich dann endlich ein Schlagzeug und begann – damals naheliegend – in Rockbands zu spielen. Nach meiner ersten Indien-Reise 1989 (zu der Zeit unterrichtete ich schon Yoga) stieß ich auf den immensen Reichtum der indischen Musik und begegnete bald meinem zukünftigen Lehrer. Es war dann nur noch eine Frage der Zeit, bis ich soweit war, mir einzugestehen, dass die Tabla mein Instrument ist. Ich konnte nicht erahnen, welch großen Stellenwert die Musik in meinem Leben einnehmen würde.
# Was fasziniert dich an der Tabla?
Es steckt so viel Know-how in dem genialen Instrument und seiner Spieltechnik. Schon allein die Tatsache, dass es sich bei der Tabla um ein Ehepaar handelt: die bauchige Bayan aus Metall auf der linken Seite entspricht dem männlichen Prinzip, während die schlanke Dayan aus Holz das Weibliche symbolisiert. Erst gemeinsam sind sie komplett.
Ich glaube, es gibt auf der ganzen Welt keine andere Trommel, mit der man so viele unterschiedliche Sounds erzeugen kann. Diese einmalige Klangvielfalt ermöglicht dem geübten Spieler, ein breites Spektrum von Gefühlen auszudrücken. Manchmal wird das dann so intensiv, dass ich selbst eine Gänsehaut bekomme. Es ist auch die Jahrtausende alte indische Tradition, an die ich mich automatisch andocke, sobald ich hinter meinem Instrument sitze.
# Wer sind oder waren deine Lehrer und wer oder was hat dich in deinem Spiel am meisten beeinflusst bzw. inspiriert?
Mein verehrter Lehrer Jatinder Thakur lebte lang in Wien, bevor er vor ca. fünf Jahren in seine Heimat Indien zurückgekehrt ist. Deshalb hatte ich das Privileg, bei ihm 20 Jahre lang lernen zu können. Er stammt aus einer traditionellen Hindustani Musikerfamilie und war auch Schüler von Alla Rakha, einem der bedeutendsten Tablaspieler des 20. Jahrhunderts, dessen Sohn Zakir Hussain es zu Weltruhm geschafft hat. Schon in meinem ersten Lernjahr habe ich mich getraut, Singkreise zu begleiten. Vom Zusammenspiel mit anderen Musiker/innen profitiere ich meiner Meinung nach mehr als vom Üben der Technik. Da geht es um Anpassungsfähigkeit und um das Finden eines stimmigen Ausdrucks.
# Stimmt es, dass ein Tabla-Schüler die verschiedenen Rhythmen zuerst mit dem Mund beherrschen muss, ehe es dann ans eigentliche Instrument geht?
Im traditionellen indischen Lehrsystem ist es tatsächlich so, dass ein Schüler erst mal Monate lang Rhythmen sprechen lernt, bevor er sein Instrument das erste Mal anfassen darf. Das ist auch wichtig, weil sich dadurch erst im Gehirn neue Verbindungen entwickeln. Wir bedienen uns einer speziellen Sprache, in der jeder Schlagkombination eine bestimmte Silbe zugeordnet ist. Jede der überlieferten Kompositionen kann somit auch gesprochen werden so kann ich auch ohne Instrument üben, wie zum Beispiel im Zug.
Zum Beispiel:
KA- TITE GHEGHE TITE | KATE KATE GHEGHE TITE | KATE KADHE TITE KATE | GADI GENE DHA- DHA- | DHA-
Hier klicken und eine Hörprobe von Christians Tabla-Spiel genießen!
Die komplexen rhythmischen Strukturen, die wir lernen, sind eng mit Arithmetik verwandt. Es gibt Tabla-Spieler, die unzählige Stunden übend verbringen und eine Virtuosität erreichen, die beeindruckt. Manche sind auch wahre Mathematik-Genies. Zu leicht kann man vergessen, dass die Tabla in Wirklichkeit ein Begleitinstrument ist.
# Wie viele Stunden am Tag übst du? Wie genau sieht dabei dein Tabla-Training aus?
Allein üben ist mir zu langweilig. Da ich glücklicherweise viele Gelegenheiten habe, mit großartigen Menschen zu musizieren, ist das inzwischen meine Praxis geworden. Ich höre kaum Musik von Tonträgern, weil ich ständig Musik im Kopf habe; ein interner MP3-Playerbegleitet mich sozusagen durch den Tag. Ich singe auch sehr gern. Oft ertappe ich meine Finger dabei, wie sie sich automatisch in rhythmischen Mustern bewegen. Vor allem, wenn ich unterwegs bin.
Da ich nicht vom Tabla-Spiel leben muss, gibt es keinen existentiellen Druck und ich habe mehr Freiheit dabei. Das ist wohl auch das Geheimnis, wie man sich die Freude an einer Beschäftigung erhalten kann: ich MUSSnicht spielen. Ich weiß nicht, ob es langfristig gut funktioniert, seinen Lebensunterhalt mit Kunst zu verdienen.
# Du hast 2013 das Projekt „Vienna Kirtan School“ ins Leben gerufen. Was hat es damit auf sich?
Bei mir entstand der Eindruck, dass in Österreich jeder am liebsten sein eigenes Süppchen kocht. Was ich zwar zu einem gewissen Teil verstehe, aber sehr schade finde, weil sich heute sehr viele Menschen für das hingebungsvolle Singen interessieren. So ist die Vision entstanden, ein gemeinsames Sprachrohr für die vielen Singgruppen zu schaffen und darüber den Austausch zu fördern. Das Miteinander ist gerade in der heutigen merkwürdigen Zeit so wichtig! Aber dieses Unterfangen scheint mir wie der sprichwörtliche Kampf gegen Windmühlen zu sein. Ich tue mein Bestes. Was dabei herauskommt, wird sich weisen …
# Was wünschst du dir für die Bhakti Community Österreichs?
Hmmm gibt es überhaupt eine Bhakti Community? Dazu sollte man sich wohl erst fragen, was Bhakti eigentlich bedeutet. Viele Yogi/nis setzen das gleich mit Mantrasingen, was ich nicht so sehe. Bhakti bedeutet genau genommen soviel wie „Hingabe“ und„Aufgehen“. Das ist nicht auf Singen beschränkt, das ist etwas, was man im Leben ständig anwenden kann. Auch beim Geschirrspülen und bei der Computerarbeit. Nur weil ich irgendwelche Sanskrit-Phrasen singe, heißt das noch lange nicht, dass das was mit Bhakti zu tun hat. Genauso, wie Yoga weit mehr ist als Körper-Training, ist Mantrasingen mehr als bloße Unterhaltung oder ein Mittel zum Wohlfühlen. Hingebungsvolles Singen kann uns so tief berühren, dass wir das Göttliche sehen, das nicht irgendwo weit weg ist, sondern mitten in unserem Inneren zu finden ist. So sage ich dir jetzt, dass ich mir wünsche, dass durch das Singen viele Menschen erkennen, dass wir göttlich sind und diese Erkenntnis auch in ihren Alltag bringen.
Steckbrief: CHRISTIAN WEISS
Geboren: diesmal in Wien am 16.7.1961
Lebensmittelpunkt: Im Mittelpunkt steht für mich das Herz: geht es im Leben doch letztendlich immer um Liebe.
Essen: Ich esse meist zu viel, weil es mir so gut schmeckt. Gewürze sind meine lieben Freunde.
Trinken: Ich bin Chai-süchtig, trinke den Schwarztee am liebsten mit meiner eigenen Gewürzmischung und Reismilch-Konzentrat.
Musik: erklingt ständig in meinen Ohren. Ich höre den Melodien und Rhythmen, die da kommen und gehen, gern zu und singe auch oft mit.
Schwäche: Ich neige dazu, mich im Augenblick zu verlieren.
Stärke: Flexibilität
Lebensphilosophie: Es geschieht stets das Richtige – auch, wenn das nicht immer das ist, was wir wollen.
Hier findest du auch mehr Infos zur Vienna Kirtan School
Fotocredit Sujetbild: Wari Om – www.wari.cat
Andere Fotocredits: Axel Hebenstreit – www.lichtseelen.com
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