Die Mama-Identität
Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen glauben, Frauen wären von Natur aus Mamis. Es ist in unseren gesellschaftlichen Rollenbildern quasi ein Teil des Frau-Seins; Frau-Sein und Mami-Sein fallen für viele noch in einen Topf. Ich dachte früher eigentlich gar nicht darüber nach, was das Muttersein eigentlich ist und was es mit mir und meiner Selbstwahrnehmung machen würde. Ich dachte, Mami-Sein geht ganz natürlich, wenn es dann einmal in mein Leben tritt. Doch nein. Falsch gedacht.
So wie wir in unserem Alltag unterschiedliche Identitäten haben und ausleben, so ist auch das Mami-Sein eine Identität. Und diese beginnt sich bei vielen Frauen meistens in der Schwangerschaft und spätestens nach der Geburt zu bilden. Mutter zu sein will gelernt sein. Es ist weder etwas, mit dem wir als Frauen zur Welt kommen, noch etwas, das uns in unserem Frau-Sein definiert. Denn Mutter zu sein ist nur ein Teil von den vielen weiblichen Facetten des Frau seins. Es gibt Frauen, die sich mehr zu diesem Archetypus hingezogen fühlen und manche, so wie ich, erst lernen müssen die wilde Amazone durch das nährende Mutterprinzip zu erweitern und im eigenen Leben Platz dafür zu schaffen. Eigentlich sind die Eigenschaften der Mutter, die gerne als einfühlsam, liebevoll, umsorgend und nährend beschrieben werden, sozialisierte Geschlechterrollen, die meistens nur einen Teil der alltäglichen Realität einer Mutter-Frau beschreiben. Denn sie ist eben nicht immer einfühlsam, liebevoll, umsorgend und nährend. Sondern auch schreiend, verzweifelt, prämenstruell, müde und ausgelaugt.
So gut wie täglich versuche ich herauszufinden, was ich denn eigentlich für eine Mami bin. Ich versuche es in geistige Worte zu fassen, um es mir bewusster und klarer zu machen. Bin ich zu streng? Bin ich zu weich? Bin ich zu gluckenhaft oder sollte ich ihm noch mehr Zeit schenken? An welche Art von Mutter wird sich mein Sohn in 20 Jahren erinnern? Bin ich die “Ich-bleibe-zu-Hause-Mami”, der Zeit mit ihrem Kind enorm wichtig ist oder die „Business-Mami“, der ihre berufliche Seelenmission viel bedeutet? Bin ich die immer liebe, nette, sanfte, gut gelaunte Mami oder auch die wütende, unausgeschlafene, sich-am-liebsten-in-Luft-auflösende Mami? Was WILL ich überhaupt für eine Mami sein und und was DARF ich denn eigentlich für eine Mami sein? Kann ich es wirklich für die nächsten 60 Jahre bzw. solange ich lebe eigentlich wirklich definieren? Denn eines ist sicher: Ich bin für den Rest meines Lebens Mami. Bis ich sterbe. Das ist eine meiner Identitäten, die mich bis zu meinem Lebensende begleitet.
Für mich hat es rund 15 Monate gedauert, bis ich realisiert hatte, dass ich Mami bin. Schon alleine dieser Satz, rief in mir Gefühle hervor, die ich bis dato nicht kannte. Reife. Verantwortung. Frau sein. Urfrauenkraft. Unsicherheit. Angst. Sanftheit. Liebe. Tiefe Liebe. Ich bin Mami. Mami eines Menschenwesens, für dessen Entwicklung ich als Mami Verantwortung trage.
Heute, rund 2,5 Jahre nach der Geburt meines Sohnes ist die Mama-Identität eine, die ich nicht mehr definieren will und auch nicht kann. Sie ist im Fluss. Jeden Tag. Sie vermischt sich mit all dem, was ich bin. Die Yogalehrerin. Die Partnerin. Die Unabhängige. Die Köchin. Die Business-Woman. Die Liebevolle. Die Zornige. Die manchmal Grenzen Setzende und manchmal weich Seiende. Die Strenge. Die Sanfte. Ich will nicht mehr versuchen mich in irgendwelche fremden Bilder von Müttern zu zwängen, die je nach Erziehungsmethode so und so sein müssen, nur damit ihr Kind so und so wird. Das stresst mich. Lässt mich unecht sein. Wie ein Mensch, der sich verstellen muss, nur damit am Ende meiner Erziehung das gewünschte Kindprodukt dabei herauskommt. Ich habe entschieden, einfach zu sein, wer ich bin. Wer ich vor meinem Sohn schon war, aber eben mit all dem, was ich durch ihn und mit ihm gelernt habe und so zu meiner Mama-Identität gemacht habe. Diese ist eine weitere Schicht meines Ich geworden. Sie hat mich bereichert. Tiefer in meine Schatten geführt. Mich stärker gemacht. Mich konfrontiert und erweitert. Mich herausgefordert und in meinem ganzen Frau-Sein mit all seinen Facetten ankommen lassen. Im Gegensatz zu einer verbreiteten Meinung, dass Frauen nach der Geburt nur mehr Mütter wären und sonst nichts, ist es in Wirklichkeit so, dass das Muttersein ein Aspekt ihres vielfältigen weiblichen Wesens ist.
Unsere Mama-Identität lässt uns nach Gleichgesinnten suchen. Nach anderen Mamas. Wir nutzen andere Mamas als Spiegel, vergleichen unser eigenes Erziehungsverhalten, bemessen es nach Gut und Nicht-Gut, suchen nach Ähnlichkeiten und Abweichungen, um genau definieren zu können, was wir denn nur für eine Mama sind. Und meistens scheitern wir daran, denn der Vergleich mit anderen tut uns Frauen sowieso nie gut. Er zerstört unsere Selbstliebe und Selbstachtung. Wir versuchen unsere Mama-Identität nach Lehrbüchern und gesellschaftlichen Vorstellungen zu definieren, uns zu verbiegen und zu etwas zu machen, was wir vielleicht gar nicht sind. Dabei vergessen wir, dass unsere Mama-Identität die Beziehung zu unserem Kind definiert. Und das wichtigste in dieser Beziehung sollte doch die Ehrlichkeit sein. Oder? Ehrlich und authentisch, das zu sein, was du bist. Als Mensch. Frau. Mami. Nicht immer nach der perfekten Mutter zu streben und daran zu zerbrechen, weil es unmöglich ist, die perfekte Mutter zu sein. Nicht immer die höchsten Ansprüche an den perfekt gelaufenen Tag mit Kind zu haben, denn es funktioniert sowieso nicht.
Mein Sohn liebt mich, wenn ich ich bin. Und dieses Ich ist eine Mischung aus all meinen Identitäten, Vergangenheiten, Träumen, Sehnsüchten, Ängsten, Hoffnungen. Ich habe aufgehört damit, mich zu fragen, was ich denn für eine Mami sein will. Ich bin einfach. Und so wie mein Sohn mit mir aufwächst, wachse ich mit ihm auf. So wie ich ihn an meine Brust nehme, so lege ich manchmal meinen Kopf auf seinen Schoß und lasse mir von ihm den Kopf streicheln, weil ich einfach müde bin. Er ist mein Kind, mein Freund, mein Seelenverwandter. Und ich bin seine Mutter, seine Freundin, seine Seelenverwandte. Und, jener Mensch, der ihn durch sein Leben begleitet. Solange, bis mein Leben als Mama, Frau und Mensch eines Tages endet.
Fotocredits: Nives Gobo
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