Mogelpackung Yoga?
Wir würden etwas kein zweites Mal kaufen, wenn das, was draufsteht, nicht drinnen wäre – egal, wie ansprechend der Inhalt verpackt ist. Normalerweise. Ist aber Yoga im Westen vielleicht deshalb so populär, weil wir genau dieses Verhalten manchmal ignorieren?
Wer würde zum Beispiel eine Yogaklasse besuchen, die wörtlich „Die acht Glieder des Patanjali-Yoga“ heißt, wenn dabei tatsächlich diese praktiziert würden: von den fünf ethischen Grundeinstellungen (Yamas) über eine aufrecht entspannte Sitzhaltung (Asana) bis zur meditativen Versenkung (Samadhi)?
Wer hätte sich je das Buch „Licht auf Yoga“ gekauft, wenn darin nicht nur mehr als 200 Körperhaltungen in zum Teil zirkusreifen Ausführungen dargestellt wären, sondern auch Yoga in seiner eigentlich unfassbaren Vielfalt beleuchtet wäre? Dies hat übrigens – soviel ich weiß – nur Swami Satyananda mit seinem fast 1.000 Seiten umfassenden Buch „A Course in the Ancient Tantric Techniques of Yoga“ versucht. Allerdings habe ich in allen Regalen voller Yogabücher noch nie eine einzige Ausgabe dieses Meisterwerks über Hatha-, Karma-, Bhakti-, Jnana- und Kriya-Yoga gesehen.
Wäre einer der populärsten modernen Yogastile weiterhin so begehrt, wenn Anhänger folgende Aussage des „Insiders“ Patrick Broome bewusst reflektieren würden: „Ich finde das Erleuchtungskonzept, auf das im Jivamukti Yoga so viel Wert gelegt wird, fragwürdig. Für mich hat es keiner, der Jivamukti Yoga lehrt, wirklich erlebt*“?
Zum „spirituellen Hausverstand“ gehört auch, die Ethik eines Lehrers genauer unter die Lupe zu nehmen. Welche spirituelle Transformation kann man sich von einem Stil erwarten, der mit „dem Herzen folgend“ und „in Gnade fließend“ definiert wird und bei dem Ethik als eines der Grundprinzipien gepriesen wird, aber dessen Gründer sich „von seinen ,Jüngerinnen‘ nackt massieren ließ, um sich ,der inneren Gnade‘ besser öffnen zu können**“?
Wenn ein Medikament unangenehme Nebenwirkungen zeigt, müssen diese im Beipackzettel aufgelistet werden. Warum gilt beim Unterricht von halsbrecherischen Asanas nicht ein ähnliches Prinzip? Dann müsste zum Beispiel bei einigen Übungen der so authentisch klingenden „Rishikesh-Reihe“ folgende Warnung stehen: „Achtung: Diese Übung kann Verletzungen in der Wirbelsäule auslösen!“
Deswegen betone ich immer wieder in meinem Unterricht: „Passt auf, denn nicht der Lehrer, sondern ihr selbst müsst eure kaputten Körper nach Hause tragen!“ Aber manchmal brauchen wir eben eine schmerzhafte Lektion, damit wir unterscheiden lernen, dass auch im Yoga nicht immer das drinnen ist, was draufsteht.
Über den Autor:
Florian Palzinsky erhielt seine Yogaausbildung in Indien, Australien und England. Seine wichtigsten Lehrer waren langjährige Schu?ler der bekanntesten indischen Yogameister BKS Iyengar und Pathabi Jois.
Mehr Infos über Florian Palzinsky auf www.simple-wisdom.net oder www.millretreats.at
*www.fuckluckygohappy.de (7.8.14)
**www.fr-online.de (3.5.12)
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