Barbara Decker hat mit ihm für yoga.ZEIT gesprochen.
YZ: Wie fühlt es sich an, nach einem hal- ben Leben hinter Gittern in die Freiheit zurückzukehren?
DG: Gut (lacht). Aber zunächst natürlich verunsichernd. Man gehört nicht zur Gemeinschaft „da draußen“ dazu. Außerdem musste ich viel Neues lernen: skypen, chatten, mailen, twittern – ich hatte keine Ahnung. Meine Yogapraxis war der feste Bestandteil meines Lebens, den ich in meinen neuen Alltag – in Freiheit – integrieren konnte.
YZ: Du hast insgesamt 25 Jahre und 38 Tage in Gefangenschaft verbracht …
DG: Nach fünf Jahren Haft und dem Ausbruch 1988 kam ich für sieben Monate in Isolationshaft. Anschließend kassierte ich wegen einer Gefangenenrevolte nochmals vier Jahre in Isolation und wurde dann entlassen. Nach einiger Zeit draußen stürzte ich wieder auf Drogen ab. Dann gab es eine Schießerei mit der Polizei, weshalb ich zu zwölf Jahren und einem Bewährungswiderruf von zwei Jahren und drei Monaten mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt wurde.
YZ: Welche Konsequenzen hatte es, als während einer Schießerei mit der Polizei eine Kugel dein Herz knapp verfehlte?
DG: Es war fast so, als hätte mich in dieser Situation, an der Grenze zwischen Leben und Tod, der Hass verlassen. Zurück im Knast, nach dem Krankenhausaufenthalt, war ich verändert: Ich war durchlässiger und konnte mein Bollwerk der Abwehr nicht halten. Meine gesamte Motivation hatte sich aus dem Hass gespeist – mein Lebensgefühl –, und all das war plötzlich nicht mehr spürbar. Mein Therapeut erklärte mir, dass mein System quasi neu gestartet worden war: wie ein Reset … ein Reload sozusagen. Plötzlich konnte ich meine Angst wahrnehmen, die ich mit Mustern der Aggression überschrieben hatte, und lernte, sie zuzulassen. Dies ermöglichte die Heilung und leitete den spirituellen Prozess ein. Das Leben selbst hat mich begnadigt. Fast 25 Jahre hat es gedauert, bis ich akzeptierte: Nicht mein, sondern Sein Wille geschehe.
YZ: Du hast dich also ganz bewusst für eine andere Seite entschieden …
DG: Ja. Früher wandte ich mich – verblendet durch Schmerz – der „dunklen Seite der Macht“ zu. Das ist jetzt anders, und das ist es ja, was mich umtreibt. Den Menschen zu sagen: Ihr könnt das auch – jederzeit! Egal, was ihr getan habt, wer oder wo ihr seid, ihr könnt euch umentscheiden und verändern. Vielleicht wird die Veränderung in ihrem ganzen Umfang nicht gleich heute kommen. Aber wenn du ernsthaft daran arbeitest, vollzieht sich der Wandel früher oder später. Der Prozess selbst ist die Befreiung. Das Endergebnis bewertet Gott, das Universum oder wer auch immer. Alles, was zählt, ist der aufrichtige Versuch, dein Bestes in diesem Leben zu geben.
YZ: Warum ist es dir wichtig, Yoga in die Gefängnisse zu bringen?
DG: Yoga ist die älteste und fundierteste psychotherapeutische Maßnahme, die es gibt. Sie kanalisiert psychologische Energien durch körperliche Übungen und reinigt zutiefst, nicht mehr und nicht weniger. Der bundesdeutsche Strafvollzug soll laut Bundesverfassungsgericht auf Therapie ausgerichtet sein. Warum sollte die Justiz das erfolgreichste, älteste und dazu kostengünstigste Therapieangebot ausschlagen? Ich gebe dem Knast noch zehn Jahre – dann gibt es in jedem Gefängnis Yoga. Sie haben keine Wahl: Die Yogawelle wird auch vor den Gefängnismauern keinen Halt machen. Psychische Reinigung und Therapie sind ohne Schmerz jedoch nicht möglich. Das Besondere an Yoga ist, dass man ein ungeheures Maß an Kraft für diesen Prozess erhält. Bei allen anderen Psychotherapien wird genau dieser Punkt vernachlässigt. Zudem: Eine Strafe, die den Menschen nicht verbessert oder ändert, ist nichts als Rache. Wenn 70 % aller ehemaligen Gefangenen wieder straffällig werden, bewirkt Strafe rein gar nichts.
YZ: Steht hinter Freiheit immer der Glaube?
DG: Freiheit basiert immer auf Vertrauen ins Leben. Um frei zu sein, musst du die Angst loslassen. Um Angst zu verlieren, musst du glauben. Also steht tatsächlich hinter Freiheit der Glaube. Das Ziel ist es, dem Leben – der Macht der Liebe – zu vertrauen. Damit vertraust du dir selbst, akzeptierst dich selbst. Und wenn du dich mit all deinen Stärken und Schwächen annimmst, dann erst wird es dir gelingen, anderen urteilsfrei, bedingungslos und liebend zu begegnen.
YZ: Die Liebe ist also ein Kind der Freiheit?
DG: Umgekehrt: Die Freiheit ist ein Kind der Liebe.