Meditation hat sich schon längst von ihrem religiösen Kontext gelöst, ist “in” und ihr Einsatzgebiet reicht heute weit über stille Kontemplationsräume und Klostermauern hinaus. Sie wird wissenschaftlich immer fassbarer, wird durchleuchtet, analysiert, tomografiert. Doch wie erlernt man Meditation wirklich? Was hat ein kühles Meer damit zu tun? Und bedeutet Meditation “keine Gedanken mehr zu haben”?
Staunen herrscht im MRT-Raum der University of Wisconsin in Madison. Das Team um den Neurobiologen Richard Davidson blickt ungläubig auf die ersten Bilder der laufenden Magnetresonanzuntersuchung, die gerade auf dem Monitor erscheinen. Einfache Sandalen, keine Socken und sonnengebräunte Zehen sind der einzige Hinweis auf menschliches Leben in dieser hochtechnologischen Apparatur. Matthieu Ricard, ein studierter Molekularbiologe, der seit 30 Jahren im Kloster Shechen in Kathmandu lebt, steht nicht zum ersten Mal mit seinen rund 40.000 Stunden Meditationserfahrung der Wissenschaft als ideales Versuchsobjekt zur Verfügung. Die ersten Worte werden gewechselt. Geflüstert. Dann schweigen die Wissenschaftler wieder. Das ohrenbetäubende Hämmern des MRT wird kaum wahrgenommen. Ricard braucht nicht lange, um in tiefe Meditation zu gehen. Dies, so sagt er selbst, gelingt ihm fast an jedem Ort. Auch in der engen Magnetresonanzröhre.
Die Ergebnisse dieser Untersuchung lassen den Mythos fernöstlicher Meditation fahl erscheinen. So wie die Leidenschaft zwischen zwei Liebenden maßgeblich vom Bindungshormon Oxytocin gesteuert wird, lässt sich auch die geheimnisvolle Tiefenerfahrung während der Meditation mit einer vermehrten Bildung von Blutgefäßen im Gehirn sowie der Zunahme der Verbindungen zwischen den Nervenzellen erklären. Hinzu kommt ein Zuwachs an weißer Substanz aus Nervenfasern, was wiederum die graue Substanz unterstützt, die vorwiegend aus den Nervenzellkörpern besteht, wie die Harvard-Forscherin Sara Lazar im Gespräch mit dem SPIEGEL erklärt.
„Trotzdem musst du üben, üben, üben. Skifahren lernt man auch nicht, indem man sich jeden Monat für 15 Sekunden auf die Piste stürzt.“ Hier ist langfristiger Einsatz gefragt und das Ziel heißt „Anregung von innen“. Ricard spricht aus Erfahrung. Erfahrung aus einer Welt, die mit geschlossenen Augen erkundet wird. Vor einer weißen Wand existiert keine „Anregung von außen“. Das ist der Moment, in dem der Geist ohne Ablenkung trainiert wird. Picard im Interview mit SPIEGEL ONLINE: „Eine solche Anregung ist nicht passiv, sondern absichtsvoll und methodisch zielgerichtet.“ Weiters spricht Picard von einer Umprogrammierung des Gehirns, die durch Kultivierung bestimmter Geisteszustände herbeigeführt werden kann.
Richard Davidson folgerte aus den Ergebnissen seiner Versuche mit meditierenden Mönchen, dass genau die Bereiche im Gehirn während der Meditation aktiviert werden, in denen positive Emotionen wie Liebe, Mitgefühl und Glück verarbeitet werden. Davidson sieht darin sogar den Beweis, dass sich diese erstrebenswerten menschlichen Eigenschaften „wie ein Muskel trainieren lassen“.
Diese “Trainingsmethoden” wurden im Laufe von mehr als 2.000 Jahren entwickelt und verfeinert. Als siebte Stufe des achtgliedrigen Pfades von Patanjali ist Dhyana (Meditation) die vorletzte vor Samadhi, der Erleuchtung. Damit ist die Latte reichlich hoch gelegt für alle Praktizierenden. Unabhängig von der Tradition (sei sie buddhistisch, hinduistisch oder etwa die jüdische Kabbala) ist der Pfad dorthin schmal und lang. Aus yogischer Sicht beginnt der Weg bei den Yamas, den Regeln zum Umgang mit der Welt, die ein Individuum umgibt. Und das noch lange, bevor man den Körper mit Asanapraxis darauf vorbereitet, stundenlang regungslos in Meditation verweilen zu können.
Den Aspekt der meditativen Praxis blendet der westliche Yoga oft aus: Die Kunst, kontrolliert in einen Kopfstand zu gehen, diese Umkehrstellung mindestens 50 Atemzüge lang still zu halten und ohne ein Geräusch mit den Füßen wieder sanft auf der Matte zu landen, hat letztendlich nichts mit Akrobatik zu tun, sondern damit, den eigenen physischen Körper bis weit in die Pranamaya Kosha, den energetischen Aspekt des Körpers, zu reinigen. Das ist eine der vielen Voraussetzungen, um überhaupt in einen tiefer anhaltenden meditativen Zustand kommen zu können.
Auf die Frage an Sukadev Bretz, dem Begründer von Yoga Vidya Deutschland und Schüler von Swami Vishnu Devanada, wie sich eine tägliche Asanapraxis von zwei Stunden positiv auswirke, kommt prompt die Gegenfrage: „Und wie lange dauert die tägliche Meditation?“ David Life, Gründer von Jivamukti-Yoga in New York, der Jahrzehnte in Indien unter anderem bei Sri Krishna Pattabhi Jois praktizierte, bringt es auf den Punkt: „Yogapraxis ohne Meditation ist wie ein heißer Tag am Strand, ohne einmal die Zehen ins kühle Meer zu stecken.“
Meditation – Formen und Techniken
Was für Meditationsarten gibt es? Wie lernt man Meditation? Welche passt am besten zu mir? Diese Fragen werden erstaunlicherweise immer öfter von Menschen gestellt, die keinen Zehnerblock des Yogastudios um die Ecke in der Tasche haben.
Der Begriff Meditation taucht immer öfter in Broschüren oder auf Webseiten auf, die Suchende mit Informationen zu Burnout, Stressmanagement und Karriere versorgen. Abwandlungen von bestimmten Meditationstechniken finden wir schon lange in unserem Kulturkreis, wie zum Beispiel das autogene Training. Diese Technik arbeitet mit Affirmationen. Sie spricht das Unterbewusstsein an, was im
yogischen Kontext der Japa-Meditation entspricht: Das Wiederholen eines
Mantras lässt Schwingungen entstehen, die es erleichtern, in einen Trancezustand zu gelangen – in die Meditation. Nüchtern gesagt, eine Technik, die das Bewusstsein in einen Standby-Zustand versetzt.
Als visuellen Einstieg in das Meditieren findet man im klassischen Hatha-Yoga die Praxis Tratak, die Lichtmeditation. Im bequemen Sitz vor einer Kerze die Augen so lange offen halten, bis die Tränenflüssigkeit das Erscheinungsbild der Flamme auflöst. Diese Praxis gehört auch gleichzeitig zu den Shatkriyas – den yogischen Reinigungstechniken.
Gut geführte Ausdehnungsmeditationen lassen Neulinge staunen, wenn sie mit geschlossenen Augen auf der Matte liegend unerwartet erspüren, wie sich der eigene Körper in die Unermesslichkeit auszudehnen beginnt. Sehr beliebt ist die Chakrenmeditation. Die Aspekte jedes einzelnen Energiezentrums werden hier angesprochen. Dort, wo die Achtsamkeit hinfließt, sammelt sich auch spürbare Energie in den Chakra-Punkten entlang der Wirbelsäule. Diese entspricht der Hauptenergiebahn, auf Sanskrit: Sushumna Nadi. Gerade in dieser Form der Meditation sollte man darauf gefasst sein, dass unerwartet aufgestaute Emotionen frei werden.
Die Eigenschaftsmeditation hilft, positive Eigenschaften, wie z.B. Geduld, Mut oder Wahrhaftigkeit zu entwickeln. Diese Praxis arbeitet mit Affirmationen, der Selbstidentifikation mit einer Qualität und führt weit über die Meditation selbst hinaus in den Alltag, wo die Eigenschaft auch bewusst gelebt werden soll.
Ein gewagter Sprung zu Osho, der die Form der dynamischen Meditation entwickelte. Der Meditierende ist ständig wach, bewusst und aufmerksam. Auf zehn Minuten „chaotisches Atmen“ folgen zehn Minuten „total verrückt sein“, um in der dritten Phase „zu springen und aus dem Bauch HUH zu rufen“. Dann: der „abrupte Stopp!“ und die Stille.
Meditation – wirklich was für jede und jeden?
Und, wie lernt man jetzt zu meditieren? Wie schon angesprochen, handelt es sich um die vorletzte Stufe einer langen disziplinierten Praxis. Im klassischen indischen Gurukula-System hat der Schüler zwölf Jahre bei seinem Guru gelebt, gelernt und viel praktiziert. Die ersten Jahre waren geprägt von einfacher Hausarbeit und scheinbar sinnlosen Aktivitäten. Doch am Ende der Lehrjahre hatte der Schüler meist erstaunliche Medi-tationsfähigkeiten erlangt.
Dies lässt sich nicht auf unsere Welt übertragen. Bei uns muss alles wieder einmal viel schneller gehen. So spuckt die Suchmaschine in ca 0,27 Sekunden Millionen von Ergebnissen aus: Meditationskurs in drei Tagen, Meditationskurs für Jugendliche / Erwachsene / Senioren, Meditation im Urlaub. Nur um einige Beispiele aufzuführen, die nicht so exotisch anmuten wie: Meditieren im Schnee.
Von erfahrenen Yogalehrenden hört man einstimmig, dass der Einstieg in die Welt der Meditation so einfach wie möglich gestaltet sein sollte. Im Liegen nur die Atmung beobachten, dies schaffen Aspiranten dieser Disziplin gefühlte drei Sekunden lang, bevor die Gedanken wieder zu einem wichtigeren Thema wandern. Kein Druck, kein Zwang. Allein die freudige Aussicht, in die eigene Stille gehen zu dürfen, eröffnet dem Einsteiger die Geheimtüren, die dann plötzlich erst nach einer Viertelminute wieder zufallen, bevor das denkende Hirn sich wieder meldet. Ein endloser Zyklus, der eben Teil der menschlichen Natur ist.
„Dein Geist ist wie ein kleiner Hund. Er ist andauernd mit irgendetwas beschäftigt. Beobachte ihn einfach ganz ruhig und mit Abstand. Und sobald er wieder zu dir kommt, wirf einen Ball, beschäftige ihn.“
Sakshi, den Zeugen, nennt der Yogi die Rolle des Beobachters. Sich selber in dieser Situation zuschauen und dabei einmal seine eigenen Vrittis, die Unruhe im Geist, mit Abstand und als Unbeteiligter zu erkennen, das ist eine der effektivsten Grundlagen für Meditationseinsteiger.
Prof. Tania Singer von der Universität Leipzig hat in ihren wissenschaftlichen Untersuchungen zur positiven Wirkung von Meditation bei Schmerzpatienten eines klar erkannt: „Nicht jede Form von Meditation hilft jedem.“
Dies gilt auch für die eigene Sadhana, die Praxis im Alltag. Den gezielten Einsatz von Meditationstechniken findet man vermehrt im klinischen Bereich. Der Mediziner Jon Kabat-Zinn entwickelte die Methode der „Mindfulness Based Stress Reduction“ (MBSR), die so genannte „Stressbewältigung durch Achtsamkeit“.
Prof. Tobias Esch von der State University New York machte auf Studien aufmerksam, die die positive Wirkung von Meditation auf das Immunsystem untermauern.
Weitere klinische Untersuchungen zeigen, dass Meditation die Bewegungen in den Bereichen des Gehirns herunterschaltet, die für Schmerz, Angst und Depression verantwortlich sind. Gleichzeitig konnte eine messbare Ausschüttung von Glückshormonen nachgewiesen werden. Die positiven Resultate des Mantrasingens bei Drogentherapiesitzungen haben die Tür für verwandte, esoterisch angehauchte Praktiken geöffnet. In den USA wird Meditation gezielt bei suchtabhängigen Strafgefangenen oder Borderline-Patienten eingesetzt.
Bekanntes, von dem kaum jemand weiß, was es in Wirklichkeit eigentlich ist, braucht bekanntlich länger, bis es salonfähig wird. Doch so wie Yoga den Einzug in die Pausenräume von Hightech-Unternehmen geschafft hat, werden wir Meditation in einer Form, die laut Prof. Dieter Vaitl von der Universität Gießen losgelöst von ihrem ursprünglich religiösen Kontext empirisch erforscht wird, immer häufiger und in vielen Bereichen unseres Lebens begegnen dürfen.
Ein paar wichtige Worte zum Schluss noch: die 1997 verstorbene buddhistische Nonne Ayya Khema, die in ihren Büchern und Vorträgen komplexe Zusammenhänge sehr klar und verständlich auf den Punkt brachte, über Meditation: „Die Vernunft meditiert nicht. Sie hat uns nur bis zum Meditationskissen gebracht. Und dann muss das Gefühl einsetzen. Meditation sind ALLE Gefühlsstadien. Freiheit, Unbeschwertheit, Glück. Meditation ist nicht nur ein Läuterungsprozess, sondern ein Resultat der Läuterung. Der Geist verfeinert sich glücklicherweise automatisch, wenn man einmal wirklich meditiert. Und wenn es nur einige Minuten sind.“
Fotos: Matt Sclarandis on Unsplash, Afonso Coutinho on Unsplash, Natalia Figueredo on Unsplash
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