Yoga immer und überall
Wie oft machst du eigentlich Yoga?“, fragte mich eine Freundin unlängst und bekam darauf eine Antwort, mit der sie vielleicht nicht gerechnet hat: „Kommt drauf an!“ Denn ich gehe zwar regelmäßig jede Woche in meine zwei fixen Yogastunden, mache aber trotzdem mehr Yoga als diese zweimal 90 Minuten. Denn als Yogi begreift man mit der Zeit, dass es erst richtig losgeht, wenn die Matte nach einer Einheit wieder eingerollt wird. Denn Yoga bedeutet auch, ein paar Minuten am Tag einfach still zu werden, auf den Kauf der zweiten neuen Winterjacke zu verzichten oder bei einem aufreibenden Telefonat die Ruhe zu bewahren. Und das kann einem mehr abverlangen als der umgedrehte Pfau im Kopfstand.
„If you think you are enlightened – go visit your family!“
Yoga bedeutet Vereinigung – und damit ist unter anderem auch die Auflösung von Ich-Grenzen gemeint, die Einsicht, dass wir alle „eins“ sind und uns nur unser Ego davon abhält, großzügiger, warmherziger und liebevoller zu sein. Welche Richtung man auf seinem Yogaweg einschlägt, ist nebensächlich. Alle Pfade sind miteinander verbunden, verfolgen das gleiche Ziel. Egal, ob von Selbstlosigkeit geprägtes Karma-Yoga, hingebungsvolles Bhakti-Yoga, dem Erlangen von Weisheit und Wissen verschriebenes Jnana-Yoga oder Raja-Yoga, das dabei helfen soll, Kontrolle über Körper und Geist zu erlangen.
„Yoga ist die Beruhigung des Geistes. Dann lebt der Yogi im Licht.“ Patanjali
Der indische Weise Patanjali definierte acht Stufen, um das höchste Ziel im Yoga – die Vereinigung mit dem höheren Selbst – zu erreichen. Dazu gehören das Verhalten gegenüber anderen (Yama), gegenüber sich selbst (Niyama), das Praktizieren von Asanas und Pranayama, das Zurückziehen der Sinne (Pratyahara), um den Geist zu beruhigen und so zur bestmöglichen Konzentration (Dharana) zu gelangen. Zusammen mit Dhyana (Meditation) kann dann Samadhi, das Überbewusstsein, erreicht werden.
Soweit zur Theorie. Wissen wir. Doch wie können wir jetzt diese acht Stufen im eigenen Alltag leben? Am besten Schritt für Schritt, so lebensnah wie möglich – und bitte ohne Dogma. Lassen Sie sich den Freiraum, die yogischen Grundsätze so zu interpretieren, dass sie für Sie selbst gut passen. Sie werden erkennen, dass dieser Weg der Achtsamkeit gar nicht so weit ab von dem liegt, was Sie sich ohnehin immer wieder vornehmen.
Leben nach den Yamas –
Fünf Regeln für den Umgang mit anderen
Gewaltlosigkeit (Ahimsa): Auf die Schnelle behauptet wahrscheinlich jeder, gewaltfrei zu leben. Ahimsa ist oft das Argument, warum Yogis vegetarisch leben sollten. Doch damit ist nicht nur gemeint, anderen Lebewesen keine Gewalt anzutun. Es geht vielmehr um einen friedvollen Umgang mit den Mitmenschen, um Worte, die man wählt, Konflikte, die man ausficht, und nicht zuletzt um Selbstliebe als notwendige Basis für Nächstenliebe. Jedes Mal, wenn man freundlich statt gereizt reagiert oder einmal nachgibt, statt auf dem eigenen Willen zu beharren, bewegt man sich einen Schritt in Richtung friedvolles Miteinander. Sie fühlen sich trotzdem bemüßigt, eine Mücke zu erschlagen, bevor sie Sie sticht? Dann tun Sie es mit dem Gedanken, die Mücke zu erlösen. Auch in indischen Ashrams werden mitunter Kobras getötet und „Om Tryambakam“ singend in ihr nächstes Leben gesandt.
Wahrhaftigkeit (Satya): Es ist nicht immer einfach, die Wahrheit zu sagen. Manchmal ist es auch besser zu schweigen. Dann, wenn jemand anderer an der Wahrheit Schaden nehmen könnte. Versuchen Sie zuerst, ihre eigene Wahrheit herauszufinden. Wollen Sie das, was Sie tun, auch wirklich? Geben Sie sich so, wie Sie wirklich sind? Stehen Sie zu Ihren Gefühlen? Wer zu sich selbst ehrlich ist, wirkt auch vertrauensvoll auf andere und animiert diese, selbst bei ihrer Wahrheit zu bleiben.
Nicht zu stehlen (Asteya): Dabei geht es auch darum, sich nicht auf Kosten anderer zu bereichern und den Besitztum anderer zu begehren. Ertappen Sie sich manchmal dabei, auf andere neidisch zu sein – auf eine größere Wohnung, ein tolleres Handy, ein Paar superteure Schuhe? Dann ist die erste notwendige Übung die, ohne Neidgefühle zu akzeptieren, was der andere besitzt – und es ihm von Herzen zu gönnen.
Spirituelles Leben (Brahmacharya): Oft wird dieser Grundsatz als sexuelle Enthaltsamkeit interpretiert, wie sie von religiösen Führern manchmal verlangt und gelebt wird. Doch es geht nicht nur um Verzicht auf weltliche Genüsse, sondern auch um eine Verbundenheit mit dem Göttlichen und darum, mit dem Bewusstsein zu leben, dass es etwas Höheres als einen selbst gibt. Sie glauben nicht an Gott? Göttlichkeit kann jeder auf seine Weise finden – in der Natur, in der Kunst, in weisen Worten. Gott sei Dank!
Einfachheit (Aparigraha): Der Komplexität des Alltags zu entfliehen ist nicht leicht. Doch Sie können versuchen, Dinge nicht unnötig zu verkomplizieren. Es taucht ein scheinbar unlösbares Problem auf? Vielleicht hilft diese buddhistische Sichtweise: Jedes Problem kann gelöst werden. Wenn es nicht gelöst werden kann, ist es kein Problem, sondern ein Umstand, der zu akzeptieren ist, weil er von Ihnen nicht geändert werden kann. Noch schwieriger scheint es, in unserer von Materialismus bestimmten Welt auf Besitz zu verzichten. Versuchen Sie, schrittweise vorzugehen: Jede Entscheidung, etwas nicht zu kaufen oder etwas herzugeben, macht Sie ein Stück weit unabhängiger von materiellen Dingen, die uns sowieso nur oberflächliches Glück schenken.
Soviel zu den Yamas, aber wie verhält es sich mit den Niyamas, die uns den Umgang mit uns selbst lehren?
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Das ist noch nicht alles. Den ganzen Artikel finden Sie in der yoga.ZEIT Ausgabe Nr. 17 (Oktober 2014 bis Januar 2014). Mehr dazu hier.
Text: Ines Hofbaur
Illustration: Anja Gasser – www.anjagasser.com