Es gibt drei bestimmte Eigenschaften, die in jedem Menschen existieren – Tamas, Rajas und Sattvas. Diese menschlichen Eigenschaften werden im Sanskrit bzw. im Yoga “Gunas” genannt. Was es damit auf sich hat? Was sie mit dir zu tun haben? Und vor allem, was sie mit einem Auto zu tun haben? Das erzählt dir hier Sati Tias.
Dauerhaft glücklich?
Leo Tolstoi begann sein berühmtes Werk „Anna Karenina“ mit den Worten “Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“ Und tatsächlich: wenn wir wirklich dauerhaftes Glück im Leben erreichen wollen, scheinen sich die Wege dorthin nicht allzu stark voneinander zu unterscheiden (die Rede ist hier nicht von kurzweiligen Hormonausschüttungen auf Grund eines schönen Geschenks oder eines bedeutsamer Karrieresprünge). Doch jetzt mal ganz direkt gefragt: welchen Weg gibt es denn, dauerhaft und lang anhaltend glücklich sein?
Nun, aus Lebenserfahrung wissen wir sehr oft, dass der Weg zum lang anhaltendem Glück eben weder materieller Besitz ist, noch, dass sich die äußere Welt verändert. Also was dann? Nun, in Anbetracht der Tatsache, dass unser Leben einerseits aus sozialen Interaktionen besteht und andererseits aus dem, was wir denken, könnten wir sagen: der Weg zu dauerhaftem Glück wäre es, die menschliche Natur (die von anderen und vor allem unsere eigene) zu verstehen.
Warum hat mein Partner jetzt so aggressiv reagiert? Warum arbeitet mein Vater so hart für gesellschaftliche Anerkennung anstatt sich Ruhe zu gönnen? Warum verbringt mein Freund so viel Zeit vor dem Fernseher ohne sich um seine Zukunft zu kümmern? Beinahe täglich gehen uns Fragen wie diese (oder ähnliche) durch den Kopf und immer wieder und wieder versuchen wir menschliches Verhalten und menschliche Natur zu hinterfragen und zu begreifen. Warum? Zunächst, damit es uns besser geht und in weiterer Folge: um glücklich(er) zu sein.
Doch wie viel Stress, Unsicherheit und vergeudete Energie könnten wir uns ersparen, wenn wir verstehen würden, welche Kräfte unser Verhalten, ja das Verhalten der Welt, steuern und formen! Mehr noch: wenn wir verstünden, diese Kräfte und ihre Eigenschaften auszugleichen und zu kombinieren, um mit anderen (und mit uns selbst!) auszukommen.
Tja, jenes Wissen um diese Kräfte wäre quasi lebensnotwendig, oder nicht? Und erstaunlicherweise gibt uns der Weg der Yoga dieses Wissen. Ein Wissen das sich um 3 bedeutsame Eigenschaften dreht – die „3 Gunas“.
Die 3 Gunas
Der Begriff „Guna“ kann – wie so oft im Yoga – mit vielem übersetzt werden. Ursprünglich stand das Wort für „Faden“ oder „Schnur“, später für „Qualität“, „Eigenschaft“ oder „Kennzeichen“. In den klassischen Texten heißt es, dass die Urmaterie oder „Urnatur“ (Prakriti) drei Eigenschaften (Gunas) hätte: Tamas, Rajas und Sattva. Diese bestimmen unser Verhalten – gemäß der Yoga-Lehre sind sie ausschlaggebend dafür, warum Menschen so sind wie sie sind und das tun, was sie tun. Erinnere dich: Warum verbringt mein Freund so viel Zeit vor dem Fernseher ohne sich um seine Zukunft zu kümmern? Warum hat mein Partner jetzt so aggressiv reagiert? Die Gunas sagen uns „warum“ ….
Die 3 Gunas bestimmen alles, was wir auf und in dieser Welt erfahren und trotzdem konzentriert sich dieser Artikel jetzt vor allem darauf, wie die Gunas das menschliche Verhalten bestimmen und warum uns das Wissen um sie im Leben unterstützen kann. Doch erst schauen wir uns die 3 Eigenschaften näher an …
Tamas
Die Qualität „Tamas“ steht für das Dunkle, Schwere, Trägheit, Faulheit, Wut, Interesselosigkeit, fehlende Klarheit oder Erkenntnis und eine scheiternde, chaotisch Energie. Ihm wird die Farbe Schwarz zugeordnet. Typische „Produkte“ von Tamas sind Menschen, die zu faul für Weiterentwicklung oder ein Studium sind oder denen Motivation für ihren Job beziehungsweise eine Yoga-Praxis fehlt. Stunden von halb-seidener Arbeit, Klatsch und Tratsch über andere, Pizza, Alkohol konsumieren, Fernsehen – diese Momente sind alle geprägt von Tamas. Naja, das macht diese dunkle Eigenschaft auf den ersten Blick nicht gerade besonders attraktiv, oder?
Doch die gute Nachricht: die Qualitäten der Natur, die Gunas, existieren niemals in ihre puren Form. Sie interagieren, vermischen und vermengen sich, fallen auseinander, doch nur um sich neu zu formieren. Klingt logisch – Kräfte der Natur entsprechen den Gesetzen der Natur. Also ist ihre wahre Konstanz die Veränderung, ihre einzige Beständigkeit das Vergehen …
Rajas
Die Qualität „Rajas“ steht für Leidenschaft, Bewegung, das Fordernde, Ambitionierte, Dynamische und vor allem für das, was sich Aufmerksamkeit wünscht. Rajas sieht Rot – das ist die Farbe, die ihm zugeordnet wird. Die westlich moderne Gesellschaft, die vermehrt nicht enden wollend nach Besitz, sozialem Status und Anerkennung sucht, wird als hoch „rajasig“ eingestuft. Im Gegensatz zu Tamas, wirkt Rajas für den modernen Menschen schon um einiges reizvoller.
Typische „Produkte“ von Rajas sind Personen, die viel Wert auf berufliche und persönliche Weiterentwicklung und Erfolg legen. Wir kennen sie alle, die “Stars” aus Schule und Büro, die beeindruckend damit aufwarten, was sie schon alles erreicht haben und nicht aufhören, sich neuen Projekten zu widmen, während sie noch an anderen arbeiten.
Wie auch immer, zu viel an Rajas kann auch nach hinten losgehen und zu Rastlosigkeit, Egoismus und Selbstüberschätzung führen. Napoleon, Stalin & Co. stehen beispielhaft dafür, was passieren kann, wenn Rajas überwiegt. Tatsache ist: was wirklich zählt, ist der Ausgleich zwischen allen drei Gunas, doch bevor wir dazu kommen, haben wir ja noch eine wichtige Eigenschaft vor uns …
Sattva
Die Qualität „Sattva“ steht für Reinheit, Klarheit, Ruhe, Harmonie, Güte und das Lichte. Diese Eigenschaft ist voller Weisheit – kein Wunder also, dass ihm Weiß zugeordnet wird. Eine „sattvische“ Person ernährt sich leicht und gesund, geht diszipliniert ihrer Praxis nach, ist reflektiert und zufrieden. Traditionell gesehen, ruft der Yoga seine Praktizierenden dazu auf, Tamas und Rajas zu reduzieren um mehr Sattva zu generieren. Es heißt, Sattva sei Voraussetzung für tiefe Meditation und Grundstein für die anzustrebende Erleuchtung.
Tamas und Rajas durch Sattva zu ersetzen, könnte ein gutes Rezept für Yogis sein, die strikt einer Disziplin nachgehen, gleichzeitig scheint dies fast unmöglich für moderne Menschen, selbst wenn sie leidenschaftlich Yoga praktizieren. Außerdem: ein Zuviel von diesem Guna könnte auch zu negativen Nebeneffekten führen. Ein zu stark sattvischer Mensch könnte – anstatt sich seinem Alltagsleben zu widmen und wichtige Erfahrungen in diesem Leben zu machen – sich der Illusion oder Utopie hingeben, zu “etwas Höherem” bestimmt zu sein. Oder er wird zu jemandem, der vor der „schlechten, furchtbaren, unfairen und hoffnungslosen Welt“ flieht, seine verschuldete Familie im Stich lässt, arbeitslos wird und sich stattdessen „einfach der höchsten Selbstverwirklichung“ hingibt. Die dunkle Seite des Sattva ist nämlich das illusionsbehaftete Verlassen der Gesellschaft und das „Opfern“ eines ganz normalen Alltagslebens.
Die Bedeutung der Gunas für das menschliche Verhalten
Wie schon erwähnt: die Gunas existieren niemals in Rein-Form, sondern vermischen und vermengen sich um immer wieder Neues hervorzubringen. Yoga lehrt, dass Tamas, Rajas und Sattva unser Verhalten, unsere Aktionen und Reaktionen, unsere Vorlieben und Ablehnungen bestimmen würden.
Tamas überwiegt, wenn eben ein Freund zu viel Zeit vor dem Fernseher verbringt, ohne sich um seine Zukunft zu kümmern oder wenn der Partner aggressiv reagiert. Konflikte und Missverständnisse basieren auf Tamas; daher fehlt es ihnen an Klarheit. Rajas dominiert eben beispielsweise bei einem Vater, der sich selbst keine Auszeit gönnt und der Anerkennung der Gesellschaft nachhechelt. Zu viel an Sattva ist da, wenn eine Person vor den Herausforderungen des Lebens flieht und jeglichen Bezug zur Realität verliert.
Je mehr wir verstehen, welche Eigenschaft oder Kräfte gerade am meisten aktiv sind, desto eher können wir begreifen, welche Interaktion oder Reaktion es braucht – bei anderen und vor allem bei uns selbst. Nun ist es vielleicht so, dass wir bei uns schon ganz gut feststellen können, welche Kraft gerade in uns vorherrscht. Doch das Erkennen ist nur der erste Schritt. Im zweiten Schritt geht es darum, aktiv für ein Guna-Gleichgewicht zu sorgen. Durch eine kluge Herangehensweise wäre es uns dann etwa möglich, das „unattraktive“ Tamas in gesunden Schlaf und wohltuende Ruhe oder Rajas in fleißiges Lernen und Praktizieren zu verwandeln sowie Sattva als Plattform für klare, pure Verbindung im Alltag zu nutzen.
Das Auto-Beispiel
So, aber warum geht es bei den Gunas jetzt um ein Auto? Tja, genauso wie uns ein Auto, das in perfektem und technisch einwandfreiem Zustand ist, an jedes Ziel bringen kann, genauso können uns die drei Gunas im übertragenen Sinn helfen, unser Leben glücklich und zufrieden zu leben. Wenn wir Gunas anhand eines Autos erklären, dann steht Tamas für die Bremsflüssigkeit, Rajas für den Kraftstoff und Sattva für die Kühlflüssigkeit im System. Auf unserer Straße, unserem Weg, müssen wir uns vorwärts bewegen, ab und an bremsen und genug Abstand halten; und vor allem so gut es geht „cool“ bleiben.
Angenommen ein Auto fährt gegen einen Baum, könnte das auf den Fahrer/die Fahrerin oder ein technisches Gebrechen zurückzuführen sein. In diesem Artikel geht es jetzt nicht um das Verhalten als Fahrer/in (das würde zu weit führen), doch vor allem geht es darum, unser „Auto“ in gutem technischen Zustand zu halten, um gut unterwegs sein zu können.
Dem Glück näher kommen: erkennen und ausbalancieren
Also: zunächst einmal müssen/dürfen wir immer wieder und wieder in uns erkennen, welche Eigenschaften in uns dominieren. Wie? Meditation und Reflexion sind Möglichkeiten, allerdings hierfür gar nicht so notwendig. Gunas sind Teil der Natur, Teil unserer Natur und nicht versteckte Qualitäten. Sie sind daher im täglichen Leben leicht wahrzunehmen. Ganz bestimmt wissen wir zum Beispiel immer, wenn wir schlecht gelaunt sind (Tamas). Dasselbe gilt, wenn wir „rajasig“ oder „sattvig“ sind. Wenn wir aufgeregt sind oder ganz stark darauf hinarbeiten, ein Ziel zu erreichen – dann ist Rajas dran. Sollte das jedoch zu schlaflosen Nächte oder gestresste Tagen führen, ist Sattva gefragt: leichtes Essen, sanfte Yogapraxis (das ist die, wo es nicht darum geht, iiiirgendetwas zu erreichen oder zu schaffen), Atemübungen und der Wunsch für Gesundheit und Glück (für das Selbst und andere!).
Wenn wir uns depressiv und passiv-aggressiv fühlen, dann kann es sein, das Tamas überwiegend vorhanden ist und es eine Prise Rajas braucht: jetzt gilt es, in der Yogapraxis neue Positionen auszuprobieren (die, die uns ein bisschen mehr fordern), uns selbst Herausforderungen auszusetzen, schneller zu gehen, anderen zu helfen, unterstützend und hilfsbereit zu sein.
Das Allerfaszinierendste: wir können damit nicht nur uns selbst helfen! Doch es sei gesagt: deal with your own Tamas first;)
Doch wenn wir bemerken, dass es jemand gerade schwer hat – depressiv oder niedergeschlagen ist – dann kann es helfen, ihn oder sie zu beobachten und mehr Ausgleich in dessen oder deren „Guna-Leben“ zu bringen. Aggressive Unterhalten können liebevoll in freundliche, höfliche Kommunikation verwandelt werden. Schlechte Laune einer anderen Person, könnte sich durch unsere moralische Unterstützung ändern. Arbeit voller Stress könne zu einer Arbeit voller positiver Herausforderung werden.
Um die Gunas zu wissen, kann uns wirklich in unserem eigenen Sein und in unseren Zwischenmenschlichkeiten (und diese machen das Leben aus!) bereichern. Probiere es aus, dir mehr “Guna-Ausgleich” zu gönnen und lass dich überraschen …
Über die Autorin Sati Tias
Sati Tias ist Yogini mit einer Leidenschaft für 3 Aspekte:
– korrekte Ausrichtung, die zu strahlender Körperbeherrschung führt,
– Leichtigkeit in meditativen Übungen, die eine konsequente geistige Entwicklung fördern,
– inspiriende philosophische Anregungen für den Alltag
Sati praktiziert Yoga seit 14 Jahren und absolvierte bereits mehrere Yoga Ausbildungen, Yoga Workshops und Retreats. Ihre Basis sind Iyengar Yoga und Ashtanga Yoga, klassische 500-RYT Yoga Ausbildung, Praxis im Anusara Yoga und Jivamukti Yoga. Meditation und Yin Yoga erlernte sie mit Josh Summers. Darüber hinaus absolvierte sie Kurse am Oxford University department for continuing education wie “Psychology, an introduction”, “Philosophy of mind”
Sati Tias ist überzeugt: Yoga ist körperliche und geistige Intelligenz und eine moderne Kunst des Lebens.”
Fotocredit: freepik (3)
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