Über’s Einschlafen, durchschlafen und nicht-schlafen
Schlafen – davon weiß ich ein Lied zu singen. In verschiedenen Melodien, Lautstärken, Höhen und Tiefen. Die letzten zwei Jahre haben mich viel über das Schlafen gelehrt. Und darüber, was alles trotz wenig Schlaf und mit vielen Grünteekapseln, Yin Yoga-Sessions und ayurvedischen Nerventabletten möglich ist. Durch das Einschlafen, Durchschlafen und Nicht-Schlafen meines Sohnes habe ich gelernt, wie sehr ich über meine gedachten Grenzen hinauswachsen kann und zu Dingen fähig bin, von denen ich nicht zu träumen gewagt habe. Wie z. B. fünf Stunden Schlaf mit vier Stillunterbrechungen und am nächsten Tag einen 5-stündigen Yogaworkshop zu leiten. Oder um 2 Uhr morgens aufzustehen, bis 4 Uhr morgens zu spielen, um dann nach zwei Stunden den Tag zu beginnen und das gesamte selbstständige Business-Mama-Alltagsprogramm durchzuziehen. Ich kenne die Momente, in denen ich zwei Stunden mit meinem Kind beim Einschlafritual im Bett liege und dazwischen selbst schon dreimal eingeschlafen bin, während er dann plötzlich aufsteht und spielen will. Und ich kenne die Augenblicke der Verzweiflung, Wut, des Nicht-mehr-Könnens und Nicht-mehr-Wollens.
Das Einschlafen und Durchschlafen hat bei uns niemals funktioniert. Zumindest nicht so, wie es in all den Ratgebern beschrieben wird, die für mich Babys zu vorausschau- und kontrollierbaren Wesen machen wollen, die zu bestimmten Zeiten essen, schlafen, trinken, stillen und spielen. Ich habe versucht, Rituale einzubauen – von Singen bis Geschichten erzählen, von Babymassage bis Abendbrei. Manchmal klappte es, manchmal nicht. Und je mehr ich verbissen versuchte, fixe Zeiten für das Schlafengehen festzugelegen, weil ich endlich wieder meinen lang ersehnten Feierabend haben wollte und wirklich brauchte, desto mehr scheiterte ich und mein Sohn ging erst wieder um 23:00 Uhr schlafen (ich dann übrigens auch) oder er wachte 4:00 Uhr morgens auf. Und das was mich dabei richtig nervös machte, war das Gefühl, absolut nichts unter Kontrolle zu haben. Jeden Tag wachte ich mit meinen großen ambitionierten Plänen für abendliche Einschlafrituale auf, freute mich darauf, dass meine Pläne einen erfolgreichen Ausgang finden würden – und dann war doch wieder alles anders. Ein zu spätes Mittagschläfchen. Eine verschnupfte Nase. Ein Kind, das abends nicht essen wollte und dafür nachts nach seinen kuscheligen Stilleinheiten verlangte, weil es hungrig war.
Nach tausenden (ehrlich: tausenden!) Versuchen ließ ich es schließlich bleiben. Ich warf alle meine Pläne, Rituale, Zeiten, Wünsche, Vorstellungen und absurden festgefahrenen Ideen weg und ließ mich einfach und ungezwungen auf das Leben und mein Kind ein. Ich ließ ihn schlafen und aufwachen, wann er wollte. Manchmal schlief er bis 8:00 Uhr, dann bis 10:00 Uhr. Manchmal ging er um 20:00 Uhr zu Bett, dann um 23:30 Uhr. Manchmal Mittagsschläfchen um 11:00 Uhr, dann um 17:00 Uhr. Ich musste einfach akzeptieren, das mein Kind sich weder an Bilderbuchregeln hielt, noch an meine fixen Vorstellungen darüber, wann ich es für richtig hielt, dass er seine Bettruhe genoss. Er schlief einfach, wenn er müde war. Nicht mehr. Nicht weniger. Und ich entspannte mich, weil ich endlich meine zwanghaften Vorstellungen über den großen Kosmos des Schlafengehens loslassen konnte.
Was das alles mit Yoga zu tun hat? Ich denke, die Kunst des Mutterseins sowie des Yoga besteht darin, darauf zu achten, was der Moment gerade mit sich bringt. Tief einzuatmen, tief auszuatmen. Über seine Grenzen zu gehen, vorallem dann, wenn man es für unmöglich hält. Denn im Endeffekt sind wir nur zu dem fähig, was wir uns selbst auch zutrauen. Je mehr die Grenzen unseres Denkens fallen, desto mehr erkennen wir, das dass Leben sich außerhalb der Komfortzone abspielt. Dort, wo wir unsere Vorstellungen loslassen, wie Dinge zu sein haben und akzeptieren, dass sie einfach so sind, wie sie sind.
An dieser Stelle: wir schlafen immer noch nicht durch und beim Einschlafen singe ich manchmal oder lese oder bin einfach nur still, während er sich ins Traumland stillt. Doch es ist leichter: denn ich habe meinen überperfektionistischen Anspruch an das Schlafen losgelassen und dann sind die Dinge einfach in den Fluss gekommen und waren einfach so wie sie waren. Unvorhersehbar. Abenteuerlich. Anders. Lebendig. Vielleicht ist das in einer Gesellschaft, wo wir nach Zeitkonzepten, Kategorisierungen und Jahresplänen funktionieren ein etwas unkonventionlller Weg. Aber für uns hat nur der funktioniert. Nämlich ohne perfektionistischen Anspruch. Das ist übrigens auch ein guter Tipp für die eigene Yogapraxis. Weg von der Perfektion. Hin zum wahren Sein und Fühlen oder wie ich gern zu sagen pflege: “Feel it, don’t pose it!”
Schlaft gut 😉
Fotocredits: Nives Gobo
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