Perfektionismus raus, Hirn ein, Herz an – dafür plädiert Eva Karel in ihrem Buch “Om, Oida – Yoga ohne Maskerade”. Denn, so Karel, auch der gedehnteste Yogahintern kapituliere irgendwann vor der Schwerkraft, auch den gleichmütigsten Geist wirble es immer wieder tüchtig durcheinander. Ihr Buch ist lebensnah, fetzig, humorvoll und formuliert in einer etwas anderen Yoga-Sprache als sie weithin an den Tag gelegt wird. Über ihr Buch, ihren Yoga-Weg, was sie an der modernen Yoga-Szene kritisch beäugt und was Eva Karel als 6. Niyama anführen würde, darüber (und mehr) hat sich Lena Raubaum von yoga.ZEIT mit ihr unterhalten …
„Om, Oida! Yoga ohne Maskerade“ – weshalb dieser Titel für dein Buch?
„Oida!“ dient mir als zackiger Kontrapunkt zu salbungsvoll-esoterischem Duktus. Der Untertitel „Yoga ohne Maskerade“ präzisiert dann diese Absicht. Ich mag es, Dinge klar zu benennen, statt verheißungsvoll zu vernebeln. Und ein bissl keck wollt ich natürlich auch sein.
Wie kam es zu diesem Buch? Für wen hast du es geschrieben?
Begonnen hat alles mit Essays zu einigen philosophischen Aspekten, die ich für meine Schüler*innen geschrieben habe. Die haben mich nämlich gefragt, welche Literatur ich denn vertiefend zu meinem Unterricht empfehlen würde und ich hab mir da immer so schwer getan – weil ich selbst bei den Quellen rigoroses Cherrypicking betreibe und mir meinen Zugang im Lauf von bald 20 Jahren wie einen gemischten Salat zusammengestellt hab: Ein bissl was davon, eine Prise hiervon, ausgiebig von dort drüben, mit Maß und Ziel aus diesem Topf da links. Mit den allermeisten Publikationen, insbesondere aus dem esoterischen Selbsthilfeeck, kann ich wenig anfangen. Mir wird da meist zu messianisch und wenig greifbar formuliert, eine dezidierte Anbindung an mein hatschertes eigenes Leben finde ich aber selten. Ich liebe meine Yogapraxis ja sehr, habe aber gar nicht die Absicht, alles Hatscherte loszuwerden und mich zu einer Hochglanzvariante aufzupolieren, sei es spirituell, körperlich oder sonst wie. Also habe ich mich hingesetzt und irgendwann nach vier Jahren war „Om, Oida!“ dann fertig.
Es ist für alle humorbegabten Geschöpfe gedacht, die eine lebensnahe Yogapraxis anpeilen, es hilft aus potenziellen Dogmen-Dschungeln heraus, in denen man sich verlaufen kann, wenn man sich ganz intensiv einer bestimmten Yogarichtung verschrieben hat.
Apropos humorbegabt: Du orientierst dich in der Struktur deines Buchs am achtgliedrigen Pfad des Patanjali und untersuchst diesen auf alltagsnahe, frische und reflektierende Art und Weise. Dabei hast du beispielsweise ein sechstes Niyama mit „Neu im Angebot“ hinzugefügt: den Humor. Weshalb ist dir dieser Kerl denn so wichtig?
Humor! Ja! Unfassbar, wie hilfreich ich diesen Kerl finde. Ich meine damit sogar tendenziell diesen grantigen Wiener Schmäh, wie er im Buchtitel durchschimmert. Also warum finde ich den so hilfreich: Wenn ich mich meiner Yogapraxis sehr ernst widme, ein regelmäßiges Programm absolviere und mein Umgang auf der Matte/am Meditationspolster mit mir selbst von der Marke „No-Nonsense“ ist, schlägt sich das in meinem Habitus nieder. „Pflichtbewusste Yogini achtet auf ihre Praxis, isst nur clean, achtet auf die Reinheit ihrer Gedanken“ etc. Darauf mag ich eine Zeit lang recht stolz sein, es trägt nur selten dauerhaft.
Doch angenommen, ich verinnerliche ganz grundlegend, dass Menschsein stets eine hatscherte G’schicht ist, ich keineswegs alle Ecken und Kanten zu schleifen, alle Holprigkeiten auszumerzen brauche; angenommen, ich bin schon recht fertig und rund in all meiner Imperfektion – dann kann die Yogapraxis zum gemütlichsten Tüfteln werden. Dann pfeife ich auf die ideale Optik von Positionen, sondern lausche stattdessen meinem Körper ab, wo er denn hinmöchte, wie viel ihm den gut täte. Ich lass mein Corona-Schwarterl in aller Pracht da sein, kann meinen Grant auf die Matte mitnehmen, brauch mich aber nicht in ihm verbeißen. Ich steige mit glühenden Ohrwascheln in die Tiefen einer Position hinab, lande mit geschlossenen Augen auf einer Spürebene, verknüpfe meine wie durch einen Kamin brausende, gemächliche Atmung mit einer vom Herzen (nicht vom Hirn) kommenden Aufmerksamkeit, webe all das IN die Position hinein. Ich tüftle im Spielraum der Position herum, fernab jeglicher Pflichtschuldigkeit gegenüber vorgegebenen Sequenzen, fernab gezählter Atemzüge. Ich halte meine Ratio möglichst raus und gebe meiner Instinktebene die Zügel in die Hand. Genau dafür kann Humor die Rutsche sein, denn all das funktioniert niemals dauerhaft – die Gedanken büxen aus, ich ziehe reflexartig meinen Bauch ein, ich begratuliere mich stolz zur formschönen Asana. Irgendwann bemerke ich das, denke mir insgeheim grinsend „Na OIDA!“, und bugsiere mich zurück auf die Spürebene. Ein großer Unterschied, zur Option, mich innerlich ein Arschloch zu schimpfen oder mir sonstige Vorwürfe zu meiner mangelnden Performance zu machen.

Wie kommt es und kam es, dass du allein schon durch den Titel dich derart mit Ambivalenzen – im Leben, Alltag und Yogieren – auseinandersetzt und in deinem Buch mehrfach fast schon dazu ermahnst, so manches nicht zu ernst zu nehmen?
Ich stamme aus einer Familie von Selbsterfahrungsjunkies und reagiere wie ein Spürhund auf angelernte Phrasen. Sobald mir jemand mit weisen Sprüchen kommt, die ganz offensichtlich nicht dem eigenen Erfahrungsrepertoire entstammen, möchte ich zu kläffen und zu knurren beginnen wie ein grantiger kleiner Mops. Ebenso verhält es sich mit allzu verheißungsvollen Prognosen. „Tu dies, mach das und alle Herrlichkeit wird dir fürderhin aus dem Hintern scheinen.“ „Entwirre die Verstrickungen deiner Ahnenlinie und alles wird sich in Wohlgefallen auflösen!“
Ich weiß, dass das nicht stimmt. Ich glaube, vieles kann einen Beitrag leisten. Ich glaube aber nicht, dass für uns als Menschen irgendwann dauerhaft alles super sein kann. Immerhin sind wir Teil eines großen sozialen Gefüges und es geht rauf, runter, hin und her und wir müssen immer ein bissl herumjustieren. An der langfristige g’mahten Wiesn, am durchgängigen Plateau der Glückseligkeit zweifle ich.
In welcher Situation als Yogalehrerin haben dich bespielsweise schon Humor und vor allem das Über-sich-selbst-lachen-können gerettet?
Beim Umkippen in Balanceübungen meinerseits hat sich statt eines hochroten Schädels ein grinsendes „Na seawas!“ bewährt. Es hilft mir auch, vieles nicht persönlich zu nehmen. Manche Schüler*innen schauen im Unterricht zum Beispiel drein, als wären sie mit der Planung des nächsten Kettensägen-Massakers beschäftigt, dabei geht es ihnen wunderbar und sind dermaßen in der Yogawelle, dass sie sich endlich einmal NICHT darum kümmern, wie sie dreinschauen.
In deinem Buch betrachtest du die moderne Yogaszene beziehungsweise Yogawelt durch eine kritische Brille – was findest du an dieser – um es „om-oida-risch“ auszudrücken „zach“ und was findest du an dieser Szene höchst lobenswert?
Äußerst zach finde ich die Bildsprache. Diese dünnen, strahlenden, weißen „Yogabarbies“ in sozialen Medien in akrobatischen Posen, unterlegt mit einem weisen Sinnspruch, zum Beispiel „Accept yourself as you are.“ Da möchte ich schreien. Yoga wurde ja keineswegs dazu konzipiert, schlank, glücklich und sexy zu machen. Was ich mag ist, wie niederschwellig es mittlerweile zugeht, welche Vielfalt an Menschen jeweils für sie passende Kurse finden kann.
Welche Menschen haben eigentlich deinen Yogaweg besonders geprägt beziehungsweise, welche Menschen sind für dich Vorbilder?
Nicky Knoff hat mich ausgebildet und mit ihrem Iyengarunterricht sehr geprägt – in positiver Hinsicht bzgl. der anatomisch korrekten Ausführung von Asanas, in negativer Hinsicht im herrischen Umgang mit mir selbst. Es hat ordentlich gedauert, bis ich mich nach diesem Bootcamp getraut hab, wieder weicher zu werden, freundlich zu mir selbst. Bahnbrechend war für mich dabei Paddy McGrath, die auch aus der Iyengar-Ecke kommt und sukzessive alle Dogmen über den Haufen geworfen hat. Durch sie bin ich mit Aspekten von Vanda Scaravellis und Angela Farmers Zugängen in Kontakt gekommen, die mir WELTEN eröffnet haben.
Frage 8: Planst du eine Fortsetzung von „Om, Oida“? Und wenn ja, worüber wirst du darin schreiben?
Oh ja, ich plane eine Fortsetzung und sie kommt sogar schon im Herbst heraus. Diesmal schreibe ich für Yogalehrende und darüber, wie wir gut und authentisch mit unseren Schüler*innen und uns selbst umgehen können.
Zum Schluss wollen wir dich noch zu einem Word-Rap, einer Blitz-Fragerunde einladen:
Drei Worte, die auf mich zutreffen sind: laut, lustig, stur.
Das Herz geht mir auf bei: meinen Kindern
Ich verliere meine Geduld, wenn: mir etwas zu chaotisch ist
Als Kind wollte ich: Reitlehrerin werden
Ein Lied, das ich in Dauerschleife hören könnte, ist: „Carla „von Element of Crime
Ein Buch, das ich jedem ans Herz lege, ist: „Americanah“ von Chimamanda Ngozi Adichie
Was ich mir auf YouTube anschaue: Trevor Noah
Ein Ort, an dem ich stundenlang verweilen könnte: Schafberg
Kein Frühstück ohne: Kaffee
Ein bekannter Mensch, mit dem ich mich gerne mal länger unterhalten würde: Anne Lamott
Mein größtes unnützes Talent ist: Reimen
Manchmal wundere ich mich über: meine Hitzköpfigkeit
Was ich im Leben unbedingt noch lernen will: musikalisch zu improvisieren
Meine Yogastunde schließe ich meistens mit den Worten: „Wir neigen den Kopf zum eigenen Herzen, voller Zuwendung und voller Humor gegenüber uns selbst. Dann verbeugen wir uns gegenseitig voreinander. Danke.“
Danke sage ich für: meine Kinder, Dani und meinen Garten
Das mache ich jetzt als nächstes: ein Supperl kochen
OM OIDA
Yoga ohne Maskerade
punktgenau
Eva Karel
Softcover, 254 Seiten
ISBN 978-3-9504855-4-7
erhältlich im Buchhandel oder direkt beim Verlag punktgenau
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Mehr über Eva Karel
Eva Karel wollte einmal unbedingt buddhistische Nonne werden, nahm jedoch bald angesichts der strengen Sitzmeditation Reißaus. Stattdessen ließ sie sich vor bald 20 Jahren zur Yogalehrerin ausbilden und kehrte schließlich nach Wien zurück. Nachdem sie sich einige Jahre mit verbissenen Selbstverwirklichungsambitionen herumgeplagt hatte, dämmerte ihr langsam, wie Yoga praktiziert werden könnte, ohne sich vor lauter Dogmen den Zahnschmelz wegzuknirschen. Es geht doch tatsächlich auch mit Humor, improvisiert und menschlich.
Heute treibt sie als Mitglied des Künstlerinnenkollektivs „Neigungsgruppe Schabernack“ im Atelier Brutstätte ihr Unwesen. Wenn sie nicht gerade an der Uni unterrichtet oder sich Orakel einfallen lässt, schreibt sie Bücher und Artikel (z.B. „Om, Oida! Yoga ohne Maskerade“, Blog: evakarel.at). Ansonsten zieht sie zwei Kinder groß, führt den Hund spazieren, hält Yogakurse und pinselt Menschen auf Leinwand. Ursprünglich stammt sie aus Waidhofen/Ybbs in der niederösterreichischen Pampa.
Fotocredits: Karin Hackl
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