Die heilige Mutterkuh oder über das Ende einer Beziehung
Vor der Geburt meines Sohnes machte ich mir so gar keine Gedanken über das Stillen. Es war in meinem Bewusstsein ein natürlicher Prozess der Menschwerdung und ich dachte weder darüber nach, wann, wie lange, wie oft und wie ich es machen würde. Ich wusste nur, ich werde es machen.
Einen Tag nach der Geburt wurde das Stillen zu einem der zentralsten Themen in meinem neuen Leben als Mama. Denn wie sich herausstellte, war es weder einfach, noch unkompliziert und viel schlimmer: es war begleitet von tausend Meinungen, tausend Weisheiten von Expert/innen und einer Tonne von Büchern. Und das, was mir anfangs so unkompliziert und natürlich vorkam, wurde zu einem der emotional verworrensten Themen meines Lebens.
Ganz am Anfang tat es einfach nur weh. Höllisch weh. So weh, dass ich jedes Mal, wenn mein Kleiner andockte, einfach die Zähne zusammenbiss, die Hand meines Partners blau quetschte und mit dem Fuß gegen eine Wand schlug. Und schon da begannen diese ganzen Theorien von „wie stillt man richtig“ und „was kann man alles falsch machen“ und „eigentlich sollte es nicht wehtun“ wie Bomben auf mein Gefühlsleben einzuprasseln. Habe ich genug Milch? Soll ich zufüttern? Stillen nach Bedarf oder alle drei Stunden? Wie oft, wie lange, wo und wo nicht?
Und irgendwann beschlich mich das leise Gefühl, dass das Stillen zu einem Schlachtfeld für Meinungen und Gegenmeinungen geworden war und dadurch viele Frauen einfach nicht mehr ihrem natürlichen Mutterinstinkt folgen können, ja vielleicht sogar dürfen. Stillen ist so alt wie die Menschheit selbst, sollte das Natürlichste der Menschheit selbst sein. Ich frage mich, wieso so viele Frauen auf dieser Welt die Verantwortung für das Stillen in die Hände von Expert/innen und Büchern legen, als einfach in sich hinein zu spüren, sich mit ihrem Baby zu verbinden und gemeinsam mit ihm eine Stillbeziehung zu schaffen, die für beide passt. Ich beschloss – trotz der vielen anderen Meinungen rund um mich herum – zu stillen; wann, wo und wie lange mein Säugling wollte. Frei nach dem Motto: „Gib soviel du kannst, oh nährende Mutterkuh!“ So fühlte ich mich mit meinen prallen Brüsten und der Milch, die täglich rausfloss. Die Kuh ist übrigens eines der ältesten Symbole für Göttinnen. Hathor war es in Ägypten. In Persien steht die Kuh Geush Urvan für die Urmutter. In Indien ist die Kuh seit jeher heilig und in Griechenland wird Göttin Demeter die Kuh als Krafttier zugeschrieben. Nicht umsonst fließen im Paradies Milch und Honig und dieses Paradies wollte ich meinem Kind so lange und so viel wie möglich schenken.
Nach den anfänglichen Schwierigkeiten und Schmerzen, hatte ich mir kein Still-Ablaufdatum festgesetzt. Also stillte ich fast 16 Monate voll und dann wurde das Stillen eine zusätzliche Trink- und Kuscheleinheit zum normalen Essen und Trinken. Als mein Kleiner dann zwei wurde, stillte ich immer noch. Zwar etwas weniger, aber dennoch noch häufig. Die zwei Jahre des Stillens waren schön und manchmal nicht so schön. Zumindest für mich. Stillen ist eine Beziehung. Und zu einer Beziehung gehören nun mal verschiedene Emotionen. Es gibt immer noch Tage und Momente, in denen ich das Stillen liebe. Wir sitzen gemütlich auf der Couch und schlafen zusammen ein. Wir kuscheln uns ganz nahe aneinander und fühlen, was Liebe ist. Wir entspannen uns und haben viel Zeit, um stillend zu meditieren. Doch auch beim Stillen gibt es die Augenblicke, in denen es einfach mühsam ist. Wenn mein 2-jähriger mir plötzlich im Geschäft in die Bluse greift und die Brust hervorholt. Wenn er mich nach zwei Jahren manchmal immer noch drei Mal pro Nacht aufweckt, um an der Brust zu kuscheln, während ich nur wieder durchschlafen möchte, um dieses erfrischende Gefühl nach 8 Stunden Schlaf endlich wieder genießen zu dürfen.
Und dann kam schließlich doch der Tag, an dem ich merkte, dass sich das Stillen nun langsam aber sicher in Richtung Abstillen bewegte. Ich wollte loslassen. Aber Schritt für Schritt. Irgendwie hatte ich schon lange die Hoffnung aufgegeben, dass mein Kleiner sich jemals von alleine abstillen würde. Er liebte und liebt das Stillen immer noch. Und ich in manchen Momenten eben nicht mehr so. Ich war und bin im Abstill-Zwiespalt. Und auch da lese ich mich wieder durch tausend Meinungen, Facebook-Antworten und diverse Internetforen. Ayurveda empfiehlt, Kinder mit dem Wachsen des ersten Zahnes abzustillen. „La Leche Liga“ irgendwann zwischen zwei und vier Jahren berziehungsweise dann, wenn das Kind es möchte oder „solange es zwischen Kind und Mama passt“. In unserer Gesellschaft bin ich als Stilllende eines Zweijährigen sowieso schon ein Alien ohne Öffentlichkeitstauglichkeit. Laut der tausend Bücher soll ich zuerst am Tag abstillen oder die Nachtschicht meinem Mann übergeben. Ich soll dies und das und jenes machen und ehrlich? Ich habe keine Lust das alles machen zu müssen, nur damit mein Kleiner aufhört. Es kommt mir vor, als müsste ich ihn und mich unter Druck setzen, damit er etwas aufgibt, was er anscheinend immer noch braucht und liebt. Ich will keine Tränen, Machtkämpfe, Scherereien mitten in der Nacht und anstrengende Momente des Verweigerns. Ich will unsere Still-Beziehung zu einem guten und für uns beide stimmigen Ende bringen, nach alten yogischen Prinzipien: Schritt für Schritt. Konsequent. Mit Geduld. Täglich. Voller Liebe und Zeit. Meiner weiblichen Intuition folgend. Im Fluss. So, dass es für ihn und für mich ein krönender Abschluss einer Beziehung wird, die uns beide nährt und wachsen hat lassen. In Körper, Geist und Seele.
Fotocredits: Nives Gobo
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