Rein ins neue Jahr!
So lautet die Devise am Beginn von 2016. Und die Betonung auf das Wort “REIN” legend, gibt dieser Artikel einen Überblick über Reinheit und Reinigungsrituale in den großen Weltreligionen, erzählt von Reinigungstechniken des Yoga und für die yogische Praxis und erinnert dich daran, dass Aufräumen ganz in Ordnung sein kann …
Reinheit in den Weltreligionen
Zahlreiche Hindus stehen Tag für Tag im orange-gelben Licht der Morgensonne an Flüssen, Tempeln oder zu Hause und huldigen Ahnen und Gottheiten, indem sie sich rituell reinigen. Dieser Ritus kann ein Bad, Pranayamas, Mantra-Rezitationen, Sonnen- und Götterverehrung sowie Dämonenvertreibung umfassen. Meist rundet das Auftragen eines Sekten- oder Kastenzeichens den Reinigungsprozess ab. So bekommt das Reinigungsritual auch soziale Funktionen. Reinheit ist für die Hindus etwas, das durch die Geburt erworben wird. Dieser angeborene Reinheitsstatus kann in dem jeweiligen Leben nicht verbessert, sehr wohl aber durch das Verhalten im jeweiligen Leben verschlechtert werden.
Buddhisten glauben – im Vergleich zu Hindus – nicht wirklich an die innerlich reinigende und läuternde Kraft eines Bades. Eher gilt: Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andern zu – egal wie oft und viel du dich wäschst.
Andere hygienische Vorschriften gelten für buddhistische Mönche und Nonnen. Diese sollten z. B. nur einmal alle 14 Tage baden (außer im Sommer, bei schwerer körperlicher Arbeit, Fieber, Rückkehr von einer Reise oder häufiger Verschmutzung während der Regenzeit). Nonnen sei es verboten, Gesicht und Körper zu salben, Körperhaare – bis auf das Haupthaar – zu rasieren, sowie sich zu schminken. Mönche mögen ihr Haupthaar kurz tragen und den Bart stutzen.
Für einen Menschen streng jüdischen Glaubens spielt kultische Reinheit eine sehr wichtige Rolle.
Eine Frau beispielsweise verunreinige sich durch Menstruation sowie durch Geburt. Bei der Geburt eines Sohnes gelte sie für eine Woche als unrein, bei Geburt einer Tochter für zwei Wochen. Für das Essen gelten sowieso sehr strenge Richtlinien. Was koscher oder nicht koscher ist, ist ganz genau festgelegt. Ganz wichtig ist auch, sich vor jedem Essen die Hände waschen. (So dürfte sich übrigens wohl auch der Brauch des Händewaschens vor dem Essen entwickelt haben.)
Eine rituelle Reinigung nach der Thora könne u. a. durch Abwaschung des Körpers, Waschen der Kleider, durch Erbringung eines Opfers sowie durch eine Zeremonie eines Rabbiners geschehen.
Laut christlichem Glauben ist die Reinheit des Herzens am allerwichtigsten. Nicht das, was in einen Menschen hineinkommt, sei unrein, sondern das, was aus ihm herauskommt. „Reine Hände“ stünden für reine Taten, deren Ursprung ein reines Herz sei. Christus hat durch sein Blut die Sünden von den Christen abgewaschen und die Menschen gereinigt, was jeder Christ durch die Taufe erfährt. Weiters glauben Christen an eine reinigende Wirkung durch die heilige Salbung. So gilt geheiligtes Öl als Symbol des Hl. Geistes – als heilige Kraft, mit der auch Christus gesalbt war. Die natürlichen Wirkungen des Öles, das nährt, kräftigt, reinigt, heilt und leuchtet, bedeuten symbolische Aussagen.
Im Islam ist die rituelle Reinheit, die man durch Waschungen erlangen kann, Vorbedingung für ein gültiges Gebet. Wann, wie und wo man sich waschen muss, wird in den Gesetzesbüchern ausführlich beschrieben. Durch die Waschung bereitet sich der Gläubige auf das Gebet vor, weil sie die nötige innere Ruhe verleiht und seine Aggressivität dämpft. Wie der Betende die erforderte Reinheit erhält, hängt ganz von der Verunreinigung ab, schließlich gibt es da die kleine (Berührung unreiner Tiere, Dinge, der eigenen Genitalien oder der Haut des anderen Geschlechts, Verrichtung der Notdurft, Schlaf oder Bewusstlosigkeit) und die große Verunreinigung (Geschlechtsverkehr, Menstruation, Geburt).
Was viele Religionen vereint:
Rituelle Reinheit kann verloren gehen durch
- Mutter Natur (Menstruation)
- Kontakt mit unreinen Gegenständen, Nahrungsmitteln, Körperteilen (auch eigenen!) oder Personen
- unsittliches Verhalten (hier bestimmt allerdings wieder die Religion, was “unsittlich” ist) oder ein Verhalten, das jenem Verhalten sehr ähnlich kommt
Reinigungsriten, die Reinheit wiederherstellen können:
- Reinigung des Körpers oder bestimmter Körperregionen
- Beichte, Buße bzw. Sühne
- Darbringung eines Opfers oder eines Verzichts (Fasten)
Soviel also ganz kurz zum Thema Reinheit in den Weltreligionen. Und wie ist das im Yoga. Welche Techniken, Überzeugungen und Reinheitsgebote gibt es da?
Reinheit und Reinigungstechniken im Yoga
Die körperlichen Reinigungstechniken des Yoga werden kriyas genannt. kriya kann mit „Tat“ oder „Handlung“ übersetzt werden. Sogenannte shatkriyas (shat bedeutet „sechs“) werden in den alten Schriften als besonders wichtige Techniken herausgestrichen. Bei allen Übungen empfehlen wir dir, diese zunächst unter Anleitung eines fachkundigen Yogalehrenden oder Ayurveda-Praktizierenden durchzuführen!
Die sechs Reinigungstechniken sind folgende:
- Trataka
- Neti
- Kapalabhati
- Dhauti
- Nauli
- Basti
Trataka bezeichnet das beständige Starren auf ein bestimmtes Objekt, ohne dabei zu zwinkern, z.B. auf eine Kerzenflamme. Genauso ist es möglich, den Blick in die Ferne schweifen zu lassen (das ist entspannender für die Augen). Im weiteren Verlauf werden die Augen geschlossen und versucht, vor dem inneren Auge das fokussierte Objekt weiterhin zu betrachten.
Unter Neti versteht man die Reinigung der Nase. Empfohlen wird entweder, diese mit einem Faden (Sutra Neti), Milch (Dughda Neti), Ghee (Ghrita Neti) oder Salzwasser mithilfe eines Neti-Kännchens (Jala Neti) durchzuführen.
Kapalabhati ist eine Atemwegsreinigung, die auch als „Schnellatmung“ oder „Feueratmung“ bekannt ist. Kapala kann übersetzt werden mit „Schale“ bzw. Schädel, bhati mit „Licht“ oder „Leuchten“. Kapalabhati ist eine wunderbare Vorbereitung auf die Meditation, weil sie helfen kann, den Kopf frei zu bekommen.
Dhauti ist ein gesamter Praxiskomplex, der zur Reinigung des oberen Verdauungskanals dienen soll. Dieser besteht aus: Reinigung des Mundes (z.B. mithilfe eines Zungenschabers), Reinigung der Speiseröhre und Reinigung des Magens.
Die Technik des Basti widmet sich der Reinigung des Dickdarms. Im Ayurveda handelt es sich hierbei um einen herkömmlichen Einlauf, der oftmals ergänzend zu einer Fastenkur durchgeführt wird.
Nun, und wofür all diese shatkriyas? In Anbetracht all der Belastungen, denen der menschliche Körper ausgesetzt ist oder sein kann – nicht allzu optimaler Ernährungsstil, interessanter Schlafrhythmus, Schadstoffe aller Art (von Abgasen bis ärgerlichen Aussagen), Stress (trotz Yoga) etc. – vollbringt er in der Selbstreinigung und Selbstregnergierung immer wieder auf’s Neue wahre Meisterleistungen. Die shatkriyas können jedoch besonders hilfreich sein, wenn man den Körper in bestimmten Prozessen unterstützen möchte, z. B. bei Ernährungsumstellung (zur Reduktion Umstellungsschwierigkeiten und Entzugserscheinungen), am Beginn einer intensiven Yoga-Praxis (zur Intensivierung von Yoga-Übungen und dem Fließen von Prana), bei Antriebslosigkeit, Depressionen oder Burn-out.
rein, weiß, sattva
Die yogische Philosophie geht von drei Eigenschaften (gunas) aus, die als sattva, rajas und tamas bezeichnet werden. In jedem Menschen überwiege eine der drei gunas und spiegle sich in allem, was dieser Mensch tut und denkt.
sattva stehe für das Weiße und Weise, für Wahrheit und Klarheit. Sie sei die höchste der drei gunas, verleihe dem Menschen Wahrhaftigkeit, Weisheit, wache Sinne, Wissensdurst und vor allem das, worum sich hier alles dreht – Reinheit. sattva ist erhellend, erfreuend und erleuchtend, denn schließlich führe sattva zu Erkenntnisfähigkeit und Erlösung.
Ein Mensch mit einer vordergründigen sattva-Persönlichkeit ist gütig, aufrichtig und ehrlich und zeigt Mitgefühl, Toleranz sowie Selbstlosigkeit gegenüber seinen Mitmenschen (bitte nicht verwechseln mit Aufopferung!). Sein Charakter ist edel und spirituell. Er trägt saubere und ordentliche Kleidung, hat eine aufgeräumte Wohnung, einen geregelter Tagesablauf oder Tagesrhythmus und zeugt von körperlicher Reinheit und sexueller Mäßigung. Die Herausforderungen bei einem solchen sattva-Menschen: zu viel Stolz, zu wenig Demut.
sattva wird auch sehr oft auch im Zusammenhang mit der yogischen Ernährung erwähnt. Wodurch könnte sonst eine Eigenschaft besser genährt werden als mit Nahrung? sattva-Nahrung – deren Anteil an der Ernährung vorherrschen sollte – ist rein, vollwertig, qualitativ hochwertig, leicht verdaulich und von Natur aus schmackhaft.
Nahrungsmittel, die der Eigenschaft sattva zugeordnet werden:
- Vollkornprodukte und vollwertiges Getreide
- Hülsenfrüchte (gekocht) und Sojaprodukte wie Tofu
- frisches Gemüse gekocht und roh – im rohen Gemüse ist mehr Prana, in der Vielfalt der Gemüsesorten ist mehr (Farben)freude
- frisches Obst (auch Obstsäfte)
- Milch und Milchprodukte
- Verzicht auf Fleisch, Eier, Zucker, koffein-, alkohol- und teeinhaltige Getränke
sattva-ige Essens-Tipps:
- Zeige Dankbarkeit für das Essen (auch in Ge-danken steckt danken!)
- Kaue langsam, ruhig, gut und genussvoll
- Iss ausreichend, jedoch nicht zu viel
- Probiere ab und zu aus, schweigend zu essen
Im Grunde lässt sich aber zu sattva Folgendes sagen: Vor allem liegt der Tugend von sattva zugrunde, Reinheit im eigenen Herzen zu bewahren!
Von ordnungslieb bis waschecht
Ist dir eigentlich schon einmal aufgefallen, wie viele Redewendungen sich auf Reinheit und Reinigung beziehen? Es ist in Ordnung, wenn du dich jetzt rein darauf konzentrierst, dich nicht aus dem Staub zu machen, sondern mit aller Klarheit diesem Thema widmest. Klingt nicht gerade reizvoll, doch es hat seinen tieferen Sinn.
Ordnung zu machen kann durchaus wörtlich genommen werden. Du fühlst dich zerstreut und unsortiert? Da kann es helfen, einen Gang durch deine eigene Wohnung oder dein Haus zu machen. Vielleicht ist auch da das eine oder andere Ding nicht an seinem rechtmäßigen Platz. Verändere das Chaos und bringe die Dinge wieder in Ordnung.
Wer sich der Kraft des Aufräumens, dem “Magic Cleaning” besonders widmet, ist die Japanerin Marie Kondo. Mit ihrer “KonMari”-Methode hat sie bereits zahlreiche Menschen dazu inspiriert, in ihren Schubladen, Kästen und in weiterer Folge in ihrem Leben Klarschiff zu machen. Mit erstaunlichen Erfolgen.
Auch die alltäglichen Reinigungstechniken können ihren übertragenen Sinn haben. Duscht du morgens, so nütze dies, um deinen Körper auf den Tag vorzubereiten. Duscht du lieber abends, so könnest du in vollster Dankbarkeit den Tag abwaschen und gehen lassen. Auch Tränen vermögen es übrigens ein Akt der Reinigung sein, besagt doch ein arabisches Sprichwort: „Tränen waschen die Augen. Dann sieht man besser.“
Und um den Kreis zu schließen und zum Motto „Rein ins neue Jahr!“ und den Weltreligionen zurückzukehren: Wusstest du, dass „Ein guter Rutsch“ aus dem Jiddischen kommt? Da wünschte man sich „A gut Rosch!“ und „Rosch“ bedeutet soviel wie „Anfang“.
Egal, wie du es angehst, rein ins neue Jahr zu gehen – gehe es auf eine für dich stimmige Art und Weise an und denke daran, dass für Reinheit und Klarheit immer auch ein gewisses Maß an nicht ganz so reiner Reinheit durchaus in Ordnung ist.
Text: Lena Raubaum
Illustrationen: Anja Gasser
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