Welche Gründe, welche Motivations-Formen gibt es, mit Yoga zu beginnen oder Yoga zu praktizieren? Über ineffektive und pure Motive für eine Yogapraxis schreibt hier Yogalehrerin und Yogaschülerin Danja Lutz von Soulshakti …
So vielfältig die Yogis und Yoginis, so vielfältig sind auch ihre Motive, mit einer Yogapraxis zu beginnen. Nie ist mir als Yogalehrerin allerdings bis jetzt zu Ohren gekommen: „Oh ich bin so glücklich, darum habe ich beschlossen, regelmäßig die Yogamatte auszurollen.“ Meist machen wir die ersten Schritte auf dem spirituellen Pfad, weil wir nicht ganz zufrieden sind mit dem Ist-Zustand. Weil der Körper zwickt, der Geist rebelliert, die Seele gerade nicht so viel lächelt.
Bei mir war es ein Zeitpunkt, als ich suchte, hoffte und mich sehnte. Jedoch hätte ich nicht sagen können, wonach genau ich eigentlich Ausschau hielt. Ich fühlte mich einfach „un-ganz“, so als würde mir ein wesentlicher Teil meiner Existenz fehlen, verborgen bleiben. Dieses schmerzvolle Gefühl vermittelte mir den Eindruck, dass ich so wie ich war, nicht „richtig“ sein konnte.
Lange war diese Unzufriedenheit mein Motiv für die Yogapraxis. Bis ich bemerkte, dass mich – trotzdem es mir nach dem Yogaunterricht besser ging – nach wie vor ein Gefühl der Leere begleitete und mir langsam dämmerte, dass ich auf dem Holzweg war.
Ineffektive und pure Motive der Yogapraxis
Die Yogatradition unterscheidet zwischen verschiedenen Motiven für die Praxis: Diejenigen, die uns von uns wegführen (= ineffektive Motive) und solche, die uns näher mit uns in Kontakt bringen (= pure Motive). Schauen wir uns zunächst drei ineffektive Motive an …
Ineffektives Motiv Nr. 1: Ich bin nicht gut genug
Wird unsere Praxis von der Hoffnung getragen, dass endlich das Loch in uns gefüllt und der Defekt repariert werde, kommen wir dem Ziel nicht näher. Warum? Weil diese Annahme nach yogischen Gesichtspunkten jeglicher Realität entbehrt. Erinnert uns der Yoga doch in mannigfaltiger Ausführung an die Gegenwart des Höchsten in uns, an unsere „Perfektheit“ mitten in all der scheinbaren „Unperfektheit“.
Es ist absolut nichts dagegen einzuwenden, den Körper-Geist-Komplex zu verfeinern, aber ist es ein großer Stolperschein, wenn „Ich-bin-nicht-gut-genug“ zum Motiv der Praxis wird. Ganz so als würden wir eine Diät aus Selbsthass beginnen: mit einem starken Willen und viel investierter Energie, kann es sein, dass die Bestrebungen eine Zeit lang zu greifen scheinen, doch bleiben wir an der Oberfläche und die Gefahr ist groß, dass wir uns immer weiter von uns selbst entfernen.
Ineffektives Motiv Nr. 2: Schmerz lass nach (für immer!)
Das zweite ineffektive Motiv wäre, zu praktizieren, um uns gut zu fühlen und jeglichem Schmerz und unangenehmen Gefühlen aus dem Weg zu gehen. Nie wieder herausfordernde Situationen? Nie wieder Leid oder Steine im Weg? Klingt verlockend, doch weiß unsere höhere Intelligenz auch, dass Yoga dazu nicht ausreicht. Um den ewig schmerzfreien Zustand zu erreichen, müssten wir wohl den Planeten wechseln.
Wenn nun unsere Bestrebungen – bewusst oder unbewusst – darauf ausgerichtet sind, dem Glück nachzujagen und uns gut fühlen zu wollen, werden wir bestimmte Aspekte der Praxis vermeiden. Und zwar genau jene, die eine Begegnung mit unserem Schmerz, dem Kummer und der Traurigkeit ermöglichen. Auch yogischer Sicht ist allerdings genau dies die Möglichkeit zu erwachen: Intim zu sein mit jedem Teil unserer Existenz, auch mit den Verletzungen. Yoga schenkt uns so oder so ein Wohlgefühl. Und das ist auch gut so. Als Nebeneffekt, nicht aber als Motiv.
Ineffektives Motiv Nr. 3: Yoga als Ego-Booster
Zu praktizieren, um Menschen zu beeinflussen oder das Ego aufzuplustern ist der dritte große Fallstrick auf dem Weg zu uns selbst. Die Sehnsucht und das Streben nach Macht hat schon einige Yogis und Yoginis zum Stolpern gebracht. Viele Yogalehrer und Yogalehrerinnen haben ein scheinbar unwiderstehliches Charisma. Da kann man schon mal ins Grübeln kommen, ob man diese Kraft nicht einsetzen könnte, um seine Dinge durchzuboxen oder anderen das Wasser abzugraben.
Das spirituelle, gut getarnte Ego ist manchmal noch schädlicher als das „normale“, weil es heimtückisch agiert. Die Praxis schenkt Kraft und so ist es möglich, dass der Narzissmus mancher Menschen besser genährt ist, nachdem sie Spiritualität – oder besser gesagt ihre Auslegung davon – entdeckt haben. Wir können uns jeden Tag dafür entscheiden, wofür wir die Energie einsetzen, die uns die Praxis schenkt. Für unsere eigenen Belange, für höher, schneller, weiter oder als verkörperte Antwort auf die Frage: „Leben, wozu brauchst du mich? Wie kann ich am besten dienen?“
Womit wir bei den puren, mit dem großen Ganzen abgestimmten Motiven angelangt wären. Die Tradition spricht von drei Möglichkeiten, um effektiv Yoga zu praktizieren …
Pures Motiv Nr. 1: Göttliches gesucht
Der Treibstoff für unsere spirituelle Entwicklung kann eine tiefe Sehnsucht sein, die Wahrheit zu erfahren. Manche nennen es den Hunger auf Gott*, andere das Erforschen unserer Quelle oder auch das Entdecken einer uns innewohnende makellosen Essenz.
Pures Motiv Nr. 2: Dem großen Ganzen dienen
Oder wir beschreiten den Weg der Yogapraxis, weil wir den natürlichen Herzenswunsch spüren, uns selbst und unser svarupa – unsere einzigartige Natur – an alle Lebewesen zu verschenken, um so dem großen Ganzen zu dienen.
Pures Motiv Nr. 3: Weil ich es mir wert sein darf
Und last but not least gäbe es da noch die Möglichkeit der Praxis, die aus Liebe zu dir selbst entsteht.
Nun hat es wenig Sinn, wenn wir uns in eines der drei Motive hineinzwängen und sie uns als neues, aufregendes Konzept überstülpen. Die Gefahr ist groß, dass wir dadurch einen inneren Krieg anzetteln zwischen dem Ist- und dem Wunsch-Motiv. Stattdessen wollen wir in Frieden sein mit der Erkenntnis, dass wir alle hin und wieder in trüben Motiv-Gewässern fischen.
Alleine unsere Bewusstheit der puren Motive sorgt dafür, dass sie immer wieder in uns anschwingen und großzügig ihren goldenen Nektar fließen lassen. Wenn du bereit bist, deiner Yogapraxis einen vollkommen neuen Sinn zu geben, dann bitte darum, einen „echten“ Beweggrund erleben zu dürfen.
Mögen wir lernen aus einer tiefen Verbundenheit zu uns selbst und dem großen Ganzen zu praktizieren, und nicht weil wir uns vor dem Leben fürchten.
Möge unser Treibstoff ein hochwertiger sein, einer der uns eine tiefe Erfahrung von Wahrheit und den Blick für die Einheit hinter der Abgetrenntheit schenkt.
Ein Treibstoff, der uns Gott* in uns selbst finden lässt.
* Da das Wort „Gott“ für viele Menschen eines ist, das ausschließlich im religiösen Kontext seine Anwendung findet, und damit eventuell mit gewissen Abneigungen verknüpft ist – ja vielleicht sogar ein rotes Tuch darstellt – ist es mir wichtig zu erläutern, wie ich Gott verstehe.
Denn auch ich konnte noch vor einigen Jahren mit diesem Begriff recht wenig anfangen, poppten doch sofort Assoziationen wie „Schuld“ und „Sünde“ auf. Meine Beschäftigung mit Tantra hat mich dazu angeregt, das Wort von seinem negativen Beigeschmack zu befreien und etwas für mich ganz Neues entstehen zu lassen.
Und zwar nicht in Form einer visualisierbaren Gottheit mit spezifischen Attributen, die bestimmt, was richtig und falsch ist, sondern als eine in Worten kaum auszudrückende Kraft von ausgedehnter Bewusstheit, die alles durchdringend in jeder Zelle dieses Universums pulsiert.
Diese „Gottes-Energie“ hat mir die Augen geöffnet für eine Natur der Realität jenseits von dualer Wahrnehmung und wurde für mich zum Weg, um Liebe als Urzustand des Menschen zu erfahren. Und seitdem mag ich „Gott“ wirklich sehr.
Gerne kannst du dieses Wort mit einem ersetzen, das für dich stimmig ist: Sei es Liebe, Natur, Essenz, Wahrheit oder Bewusstheit.
Fotocredit: Avriella Suleiman und Daiga Ellaby (unsplash.com)
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