In ihrer monatlich erscheinenden Kolumne schreibt Nives Gobo alias “Yogamami” über den Alltag als Yogini und Mutter. Diesmal dreht sich hier alles um Essen, Schokolade und Bauchgefühle.
Seitdem mein Sohn auf der Welt ist – also seit rund drei Jahren – mache ich mir Gedanken um sein Essen. Hat er genug gegessen? Hat er das Richtige gegessen? Wieso isst er nicht? Wieso isst er? Wieso isst er das und nicht das andere? Und dann frage ich mich: treibt mich mein mütterlicher Urinstinkt in diese obsessive Beschäftigung mit seinem Essen? Oder mein fehlendes Vertrauen in ihn?
Bei uns zu Hause kommt alles auf den Tisch. Wenig Fleisch, viel Gemüse, viel Getreide, noch mehr Obst. Und ja, manchmal auch Schokolade. Für mich übrigens ein Riesenthema der Besorgnis. Jedes Mal. Für meinen Sohn ein Freudenschrei, für mich ein Moment der intellektuellen Reflektion zum Thema Zucker und Schokolade. Wie kam eigentlich Schokolade in unser Familienleben? Ich glaube, es war die Oma. Wie klassisch und stereotyp. Es war die Oma, bei der alles erlaubt ist und bei der es immer Schokolade gibt. Für mich eine Herausforderung. Ich will meinem Sohn keine Schokolade geben und dennoch will ich ihn nicht von den Dingen der Welt fernhalten, sondern ihm vieles zeigen und ihm beibringen, wie er verantwortungsvoll damit umgehen kann. Denn wie sehr können wir unsere Kinder denn eigentlich wirklich behüten vor all den Dingen, die es in der Welt so gibt? Natürlich können wir eine Auswahl treffen, doch je größer sie werden, desto mehr wird auch vieles von uns nicht Ausgewähltes Eingang in ihr Leben finden. Je früher wir Frieden damit schließen, desto leichter werden wir den Erziehungsalltag mit unseren Kindern wirklich genießen können. Verantwortungsbewusst aber mit offenen Grenzen. Mit Grenzen, aber mit weichen. So wie im Yin Yoga.
Wie sehr kann ich meine Grenzen erweitern, ohne das es schmerzhaft für mich wird? Das ist die Frage, die ich mir gefühlt 50 Mal am Tag in Bezug auf das Essen meines Kindes stelle. Wo ist die Grenze? Wie kann ich sie erweitern? Und wenn ich am Ende des Tages das Gefühl habe, mein Sohn hat gut gegessen, kann ich mich beruhigt ins Bett legen.
Mein Sohn isst am liebsten süße Beeren, saure Äpfel, wilden grünen Spargel, Oliven, Muscheln in Knoblauchsauce, Sesamsalz, Mohnstritzel, Linsensuppe und eben Schokolade. Manchmal habe ich Zeit ganz wunderbar und viel zu kochen. Manchmal hat er Lust ganz wunderbar und viel zu essen. Und dann gibt es die Tage, an denen dreimal am Tag kochen einfach zu viel wird – für mich, meinen Alltag und seinen Appetit. Denn es gibt die Tage, an denen will er einfach nicht viel essen. Und dann sitze ich da und denke mir, was ich denn noch kochen könnte, damit er isst. Weil vielleicht schmeckt es ihm nicht? Denn er kennt ja noch nicht all die wunderbaren kulinarischen Abenteuer der Kochkunst und kann deswegen noch nicht so ganz entscheiden, was er denn nun mag. Früher haben mein Mann und ich teilweise drei Frühstücksvariationen für Leyan bereitgestellt. Und das hat uns ziemlich gestresst. Ich meine so wirklich. Auch da durften ich/wir lernen: weniger ist mehr. Nicht zu viel Nachdenken in Bezug auf das Essen. Intuitiv ist besser, macht mehr Spaß. Und wenn er ab und zu nicht essen mag, dann halt nicht. Verzicht ist manchmal auch gut. Verzicht in Maßen wird im Ayurveda sogar empfohlen. Vielleicht kommt diese zwanghafte Überbeschäftigung mit dem Essen unserer Kinder von der zwanghaften Überbeschäftigung mit unserem eigenen Essen. Was liegt eigentlich gerade im Essenstrend? Was ist wo und wie viel davon drin? Da frag ich mich doch: wo ist das eigene Bauchgefühl? Der leichte, spielerische Zugang zum Essen ohne vorher im Kopf auszurechen, wie viel Zucker, Kohlenhydrate und Fett das hat, was ich gerade esse. Ayurveda lehrt, Essen darf genussvoll sein. Mit allen Sinnen erfahrbar. Und es soll dich doch glücklich machen.
Mittlerweile lerne ich nach den Jahren des Mama-Seins (und ich stehe noch ganz am Anfang eines lebenslangen Mama-Seins) mich zu entspannen. Nicht nur hinsichtlich des Essverhaltens meines Sohnes, sondern auch hinsichtlich vieler anderer Dinge. Ich hätte mir vieles leichter machen können, wenn ich meinen Sohn nicht aus der Sicht der vielen Ratgeber betrachtet hätte, die Mamas darüber belehren, wie wir mit ihren Kindern umgehen sollten. Sondern, wenn ich einfach intuitiv ihm und seinen Entscheidungen gefolgt wäre und mich meiner weiblichen Intuition hingegeben hätte. Denn im Grunde ist es viel einfacher, als wir am Anfang und vor allem beim ersten Kind denken. (Es darf einfach ganz viel im Leben einfacher und entspannter sein!)
Es liegt im natürlichen Drang des Menschseins sich zu entwickeln. Zu wachsen und zu gedeihen. Sich in sein bestes Potenzial zu entfalten. Und da dürfen wir unseren Kindern hinsichtlich ihrer ganz intuitiven Essenentscheidungen vertrauen. Denn Kinder können intuitiv und ganz natürlich spüren, was gut für sie ist. Vorausgesetzt, wir bieten ihnen die in unseren Möglichkeiten optimalen Rahmenbedingungen. Denn in einer Welt voller unendlicher Wahlmöglichkeiten, liegt es in unserer Verantwortung als Erwachsene für unsere Kinder die beste Auswahl zu treffen. Vor allem hinsichtlich der Ernährung.
Mein Sohn ist glücklich, wenn er in eine rote, süße Erdbeere beißt. Oder an seinen veganen Kakaokeksen aus Honig knabbert. Oder seinen Mund weit aufmacht für eine asiatisch angehauchte Backerbsensuppe. Oder auch (zu meinem Leidwesen), wenn er sich Schokolade (teilweise aus Vollrohrzucker, selten aus weißem Zucker) in den Mund stopft. Durch und mit ihm habe ich gelernt, dass in Bezug auf Ernährung der Ausgleich wichtig ist. Grenzen, aber erweiterbar. Vielfalt und Qualität. Schokoladentage und Obsttage. Kein Müssen, sondern Dürfen. Kein Zwang, sondern Experimentieren. Nicht starr, sondern beweglich. Denn das machen unsere Kinder ganz natürlich. Und sie sind diejenigen von uns, die ganz verwurzelt und ganz einfach ihrem Bauchgefühl folgen. Immer und bei allem, was sie tun, sagen und eben essen. Wir dürfen uns die Erlaubnis geben, darauf zu vertrauen.
Fotocredits: Nives Gobo
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