Zufriedenheit, bitte kommen!
Zufriedenheit, Balance, Glück – Wörter, die Yogi/nis nur allzu bekannt sind, Begriffe die zu den best of der Persönlichkeitsentwicklung gehören, die innerlich wachsen wollen. Und doch …. Und doch will uns diese bedingungslose Zufriedenheit nicht so recht gelingen. Aber warum eigentlich nicht? Was fehlt uns denn noch zu unserem Glück? Valerie Prassl hat sich darüber mit Joachim Bauer, Neurobiologe und Psychotherapeut unterhalten – über das Bedürfnis der Menschheit, den Zustand der Gleichmütigkeit zu erlangen.
Wie definieren Sie Zufriedenheit?
Aus psychologischer Sicht lässt sich nichts Bestimmtes, Konstantes definieren, das uns zufrieden macht. Was den Menschen zufrieden macht, hängt sehr von der Verfassung ab, in der er sich gerade befindet. Wer wenigen Reizen ausgesetzt ist, sehnt sich nach Stimulation; wer überreizt ist, bedarf der Ruhe. Wer ungewollt einsam ist, möchte einen oder mehrere Menschen um sich haben; wer von Menschen bedrängt wird, braucht Abstand. Was uns zufrieden macht, wechselt also und hängt vom jeweiligen Zustand ab, in dem wir uns befinden.
Wie kann ich herausfinden, was mich zufrieden macht?
Zwei Dinge scheinen mir für die Zufriedenheit besonders wichtig zu sein: Erstens geht es um die Wahrung einer Bedürfnis-Balance, um ein freies Hin- und Zurückschwingen zwischen Ruhe und Erregung, Intimität und Abstand, Hunger und Sättigung, Arbeit und Ruhe, Konzentration und Muße, Musik oder Gespräch und Stille. Zweitens sollten die auf uns einwirkenden Stimuli unser Sensorium und unsere Belastungsgrenzen nicht überfordern, sie sollten verkraftbar sein. In der Akustik würde man sagen: Man sollte nicht ‚übersteuern’.
Wie kommt es, dass die Menschen in unserer Gesellschaft trotz des Überflusses unzufrieden sind?
Weil sie in einseitigen Zuständen blockiert sind, beispielsweise im Zustand des Zuvielsollens oder der Zeitnot. Andere, zum Beispiel Menschen in ungewollter Arbeitslosigkeit, sind blockiert in der Langeweile, der Leere oder im Nicht-Gebrauchtwerden.
Gibt es aus psychologischer Sicht Zufriedenheitsmechanismen/-schemen?
Ja, die Beachtung der Balance und des Wechsels zwischen entgegengesetzten, polaren Zuständen sowie die Beachtung des Maßes. Wer niemals eine Beanspruchung seiner Stresssysteme erlebt, stirbt vor Langeweile. Wer niemals Muße und Ruhe erlebt, wird am Stress zugrunde gehen. Wer niemals erlebt, wie die eigenen Motivationssysteme aktiv werden, wird keine Lust und Lebensfreude empfinden. Wer jedoch den permanenten Kick braucht und seine Motivationssysteme nicht zur Ruhe kommen lässt, wird suchtkrank und brennt seelisch leer.
Stichwort ‚Ignorance is bliss’: Sind unwissende Menschen zufriedener als gebildete?
Die Frage macht deutlich, dass auch die geistige Beanspruchung einer Balance bedarf. Wer intellektuell permanent auf Hochtouren läuft, wird emotional verkümmern. Wer umgekehrt keine Bildungsreize empfängt, lebt auf einer Art vegetativen Stufe, für die wir Menschen nicht gemacht sind. Unser Gehirn will Sinnzusammenhänge erfassen, denn der Mensch ist ein Wesen, welches sich Gedanken machen möchte.
Denken Sie, dass die Menschen sich zu sehr an eine Vorstellung von Glück, etwa an die von der großen Liebe, vom perfekten Einfamilienhaus, vom tollen Beruf, klammern und daran zerbrechen?
Kein Glück – wie wir gelernt haben, gibt es in wechselnden Phasen verschiedene Zustände von Glück – lässt sich erzwingen. Wer sich etwa permanent Sorgen um seine Gesundheit macht, ist bereits krank. Wenn wir uns in eine Zielvorstellung zu sehr verbeißen, sinkt die Chance, dass wir das Ziel erreichen. Es ist durchaus erlaubt, Ziele ins Auge zu fassen und Anstrengungen zu ihrer Erreichung zu unternehmen. Wichtig ist jedoch, die Grenzen zu akzeptieren, die uns unser Körper und unsere Seele dabei setzen.
Gibt es eine Anleitung, um die eigene schlechte Laune oder Unzufriedenheit zu überwinden?
Ja, innezuhalten. Innezuhalten ist das beste Mittel, um herauszufinden, wo man steht und was man zur Zufriedenheit braucht. Vielen gelingt das durch Meditation oder Yoga. Wem das nicht genügt, wer aus seinen Kreisläufen alleine nicht herausfindet, kann es mit einer Serie von psychotherapeutischen Sitzungen versuchen. Auch diese sind eine sehr hilfreiche Form, um innezuhalten.
Wie kann man als Psychologe/Psychotherapeut Menschen sinnvoll begleiten, damit sie zufrieden werden?
Man sollte zunächst zuhören, um festzustellen, in welcher Lage der Klient oder die Klientin sich befindet. Um seine bzw. ihre Bedürfnisse herauszufinden, benötigt der Therapeut/die Therapeutin Einfühlung. Wichtig ist, dass auf Therapeutenseite keine eigenen schwerwiegenden Bedürfnismängel bestehen, weil diese zu falschen Einschätzungen führen können. Der Therapeut oder die Therapeutin sollte mit sich im Reinen sein, er oder sie sollte ein breites Spektrum von Gefühlen kennen und keine Angst vor Themen haben.
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UNIV.-PROF. DR. JOACHIM BAUER, ist Arzt, Neurobiologe, Psychotherapeut, Professor am Uniklinikum Freiburg/Breisgau, ärztlicher Direktor der Hochgrat-Klinik für Psychosomatik im Allgäu sowie erfolgreicher Buchautor: ‚Das Gedächtnis des Körpers’, ‚Prinzip Menschlichkeit’, ‚Warum ich fühle, was du fühlst’.
Sujetbild Credit: Krzysztof Belczynski
Wir danken dem Magazin “Ursache\Wirkung” für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung dieses Artikels. Den Original-Artikel findest du hier.
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Über die Autorin:
Valerie Prassl ist Journalistin und Online-Kommunikationsspezialistin. Valerie absolvierte ihr Bachelorstudium in Politikwissenschaften an der Universität Wien und arbeitete als freie Mitarbeiterin für das Wochenmagazin profil. Nach ihrem Masterstudium in Journalismus an der Columbia University in New York arbeitete sie in der Medienabteilung des Carnegie Council for Ethics in International Affairs, einer liberalen politischen Denkfabrik, zu Fragen der Ethik in internationaler Politik. 2013 zog sie nach Washington D.C., wo sie das Kommunikationsteam der Weltbank zu den Themen Nachhaltigkeit und Entwicklung unterstützt.
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