Yogalehrerin und Autorin Eva Karel darüber, was hat die Yogapraxis mit einem „wir“ zu tun hat, wie wir Teil eines “Wirs” werden und wie wir beim “Menscheln” besser miteinander auskommen könnten.
Szenario 1
Meine Kopfhaut liegt gemütlich wie eine Palatschinke auf meinem Schädel. In meinem Brustkorb ist nach einer Handvoll Rückbeugen so viel Platz, dass mein Herz in sämtliche verfügbaren Richtungen grinst. Ich liege wie ein warmes Häufchen Mensch auf meiner Yogamatte. Meine kleine Zehe pocht und ich bin dabei, genüsslich aus dem Savasana aufzutauchen. Mein zum gestreckten Galopp neigender Monkey-Mind hat mindestens zwei Gänge zurückgeschaltet. Mein Hirn hat sich entspannt – als hätte Monkey-Mind seinen Schwanz an einem Ast montiert, von wo er nun gemütlich kopfüber baumelt. Faultier nix dagegen. Dieses Gefühl, es wohlig in mir drin zu haben. Und wenn ich die Augen nach dem Savasana öffne und mich umschaue, mag ich die Leute um mich. Yoga Kula, Zugehörigkeit vom Feinsten.
Szenario 2
„Zum Glück haben wir heute tüchtig den Allerwertesten in Ardha Chandrasana trainiert, mein Plan bezüglich Yogahintern geht sich bis zur Eröffnung der Wiener Freibäder hoffentlich aus“, sinniere ich. Und das während ich in Rückenlage auf meiner Yogamatte herumrutsche und warte, dass die Lehrerin endlich den Gong schlägt. Aufsetzen, Yoga-Top zurechtzupfen, kurzer Kontrollblick Richtung Zehen, ob eh kein Futzerl das Gesamtkunstwerk stört. Bauch einziehen, beim Om-Chanten hübsch aussehen. Die Beininnenseite leicht gezerrt, weil man möglichst zeitnah von der Grätsche zum Spagat wechseln möchte. Macht nichts, von nix kommt nix. Zähne zusammenbeißen, weiter geht’s. Augen halb offen, um zu vergleichen, wer die Knie im Meditationssitz am weitesten unten hat zwecks Eruierung der eigenen Position innerhalb der Yoga-Hierarchie.
Verbindung versus Narzissmus
Was hat die Yogapraxis mit einem „wir“ zu tun? Yuj, die aus dem Sanskrit stammende Wortwurzel von Yoga, kann unter anderem mit „verbinden“ übersetzt werden. Ich für meinen Teil würde sagen: Verbinden klingt gut, oder? Verbinden statt trennen, abgrenzen und Co. Da fallen uns doch auch gleich ein paar gesellschaftliche und politische Gründe ein, warum diese Kultivierung eine gute Sache sein könnte. Und was beabsichtigen wir zu verbinden? Nun, mehreres. Mal geht’s um die Verbindung von Körper und Geist. Mal von einem Menschen zu sämtlichen anderen Lebewesen, mal von Atman (göttlicher Wesenskern) zu Brahman (der allumfassenden Göttlichkeit).
Wir leben in Zeiten, in denen Narzissmus offensichtlich recht salonfähig ist. Und gerade deshalb gilt es, sich zu erinnern, dass wir dadurch, was Ich, Ich und Ich wollen, nun mal nicht weiterkommen. Jetzt nicken wahrscheinlich einige. Wissen wir ja auch. Aber handeln wir wirklich danach? Leben wir danach, dass wir wissen, dass es nicht immer nur um uns geht? Manchmal kann es uns nämlich – ja auch als Yogapraktizierende (!) – passieren, dass wir dermaßen in der Selbstentwicklung, Selbstverwirklichung und Ich-Perfektion aufgehen, dass wir unliebsame Kerlchen werden. Unliebsam, weil dann die Leute um uns zu unreflektiert erscheinen. Weil viele halt „nicht so weit ist“. Weil das Yoga ist und das nicht. Ralf Senftleben hat das mal prägnant zusammengefasst: „Mit dem Anspruch an sich selbst steigt auch der Anspruch an andere Menschen.“[1]
Ich glaube aber, unsere Yogapraxis soll nicht und niemals zum Rückzug, zur Abgrenzung gegenüber der Welt und anderer verwendet werden. Im Gegenteil. Für mich ist ein großer Sinn und Zweck der Yogapraxis ein bisschen mehr Weltoffenheit zu kultivieren, ein bisschen mehr zu verstehen, was dieses Große Ganze hier ausmacht und vor allem ein bisschen mehr meine „Ich-hab-eh-schon-alles-gecheckt-Ohrenschützer“ abzunehmen und hinzuhören. Wir sind soziale Wesen. Wir brauchen einander.
Was ist ein WIR?
Was macht es aus, dass sich Mensch als Teil von einem Wir fühlt? Ganz klar ist: jeder von uns wird in ein WIR hineingeboren. Weil kaum hast du es aus deiner ersten Wohnung namens Mutterleib heraus geschafft, gehörst du zu einem Wir dazu. Du hast einen Familiennamen, ein bestimmten Geschlecht, gehörst zu einer Gesellschaftsschicht, bekommst eine Staatsbürgerschaft, bist am Planeten Erde angekommen. Und in einem WIR geht dann dein Leben weiter. Als Teil einer Familie, einer Kindergartengruppe, einer Schulklasse, einer Jungschar- oder Pfadfindergruppe. Eines Freundeskreises, einer Sportmannschaft, einer Musikschule, eines Judo-Kurses, einer Berufsschule, einer Uni oder sonstigen Ausbildungsstätte. Einer Berufsgruppe, die du wählst, als Teil einer Glaubensgemeinschaft, eines Chors, eines Vereins oder halt auch der Yoga-Community – immer, immer, immer bist du als Mensch Teil eines Wirs. Mal mehr, mal weniger. Mal mit Begeisterung, mal weil es halt so ist und eh passt, mal eher unfreiwillig und du kannst es kaum erwarten, dich davon zu lösen.
Spürbar gemeinsam
Ein Wir, das kann spürbar sein durch Sprache, durch Aussehen, Wahl der Kleidung oder Accessoires, Themen, die besprochen werden und relevant sind, Menschen die man kennt. In jeder Stadt, in der etwa ein Yogafestival stattfindet, erkennt man einander an den mehr oder weniger bunten Yogamattentaschen, an Baumwollhosen, herrlich bunten Leggings oder Gold-Tattoos (ob die in der nächsten Saison noch in sind?) oder der Art und Weise, wie man etwas aufrechter durchs Leben geht oder gerade ein bisserl hinkt, weil die Hamstrings schon wieder gezerrt sind. Man verwendet Wörter wie „reinspüren“, „Kumbaka-Phasen“ oder sagt, dass die eigene Hüfte schon wesentlich offener ist als vor ein paar Wochen. Man umarmt einander, faltet Hände vorm Herzen um einander zu grüßen, plaudert, aber zum Teil gar nicht so lange, weil die Vata-Energie zur nächsten Yogaklasse und davor noch einen Green Smoothie haben will. Und man erinnert sich wie selbstverständlich an Lehrer/innen, bei der “Nicht-Yogis“ fragen würden „Bitte wer ist dieser Patan … schali?“
Gut. Miteinander. Sein.
Ganz klar, Teil eines Wirs, einer Gruppe zu sein gibt Sicherheit. War schon in der Steinzeit so. Kann mich zwar nicht an damals erinnern, aber war sicher so. Eng wird’s halt dann, wenn sich „Wirs“ gegeneinander stellen oder man glaubt, wenn ein „Wir“ glaubt, es sei besser, weiter, höher, schneller. Oder wenn man glaubt, genau oder dieses eine bestimmte Wir bescheid zu wissen und vor allem zu urteilen, wie sich jemand als Teil eines gewissen „Wirs“ zu verhalten hat. Wie schnell passiert es uns Menschen, dass wir rund um uns Labels und Etiketten verteilen, uns im Schlamm von Klischees suhlen und fleißig urteilend austeilen, wie wer wie wann zu sein hat? Schublade auf, Männer hinein, Schublade zu. Schublade auf, Frauen hinein, Schublade zu. Ich könnte jetzt gerne so weiter schubladisieren beziehungsweise überleg mal kurz mit mir, was dir so alles einfällt, wenn ich dir Gruppen nenne wie: Lehrer/innen, Ashtanga-Yogis, Waldviertler-Schuhbesitzer/innen, Künstler/innen, Österreicher/innen, Deutsche/r. Na, schon ein paar Klischees gefunden?
Bitte Rüstung lockern
Im Yoga geht es meiner Meinung nach nicht primär um uns selbst, sondern auch maßgeblich darum, wie wir mit anderen Menschen, anderen „Wirs“ umspringen. Ob die Yogapraxis es mir ermöglicht, meine Rüstung zu lockern und damit herzliche Verbundenheit mit den Menschen um mich zu ermöglichen. Oder ob ich meine Yogapraxis wie ein stolzer Pfau trage, mich also abgrenze, hängt allerdings von meiner inneren Haltung ab. Ich kann es als Teil meiner Yogapraxis sehen, mich einem Menschen gegenüber zu verschließen, mit dem ich eigentlich grad so gar nicht kann, oder ich kann hinhören, begreifen, wo die Person mit gegenüber herkommt, sie ein bisschen mehr verstehen oder vielleicht am Ende sogar wissen: „Nein, wir kommen nicht zusammen.“ Aber dann kann man wenigstens sagen: we agree to disagreee. Es kann dieser herzliche Wesenskern sein, der mich mit einem Gefühl der Verbundenheit und der Zuneigung von der Yogamatte kraxeln lässt, oder ich füttere eher das Ego, meinen Stolz.
Es menschelt
Wie das mit dem verbunden sein und bleiben genau geht? Das weiß ich ja selbst auch nicht genau. Ich habe kein Allheilmittel dafür, wie es dazu kommen kann, dass wir Menschen wieder ein bisschen mehr zusammenrücken als auseinander. Aber ich glaube, es ist ein guter Beginn zu akzeptieren, dass wir Menschen sind: mit all dem, was uns zu Menschen macht. Mit unseren Tiefen und Höhen. Unseren Schmerzen und Mutausbrüchen. Unserem Drang irgendwo dazuzugehören und unserer Liebe zur Freiheit. Es geht darum, sich nicht wegzubeamen, sondern schön brav die Füße auf dem Boden zu lassen und hier in diesem verflucht unperfekten, paradoxen Zustand zu wachsen. Miteinander. Wir wollen gute Menschen sein, wenn wir ehrlich sind. Vermutlich möchten wir nicht so gern auf ein Leben als emotionslos funktionierende Zahnrädchen zurückblicken. Und deshalb knipsen wir die Stirnlampe an und rücken uns mittels Hatha-Yoga selbst auf den Pelz. Wir üben, gut mit uns und unserem Körper umzugehen, wir verankern uns immer und immer wieder im aktuellen Augenblick. Diese liebevolle Aufmerksamkeit sickert idealerweise in weitere Lebensbereiche und es wird schwieriger, ein egomanisches Kleinkind im erwachsenen Körper zu sein. Der österreichische Sänger und Musiker Willi Resetarits hat den für mich sehr treffenden Satz geprägt: „Es ist einfach so angenehm, wenn man kein Oaschloch ist.“
Deswegen möchte ich ganz grundlegend gegen eine Verbissenheit untereinander und für eine grundlegend entspannte, menschliche Haltung plädieren. Man würgt sich mystische Erfahrungen nicht heraus, man erschwitzt sich selten das Seelenheil. Peter Elbow empfiehlt für seine Methode des Freewritings „a special mode of focusing-but-not-trying” – und das trifft für mich den Nagel auf den Kopf. Fokussieren ja, aber nicht im Übermaß Willen hinzufügen, sonst entgehen dir die Feinheiten.
Zerbröselter Stein der Weisen und humorvolle Imperfektion
Wenn wir einander durch zu viel Zähneknirschen oder Oberflächlichkeiten den Zugang zueinander ein bisschen versaut haben, empfehle ich, sich tüchtig des eigenen Humors und der Menschlichkeit zu erinnern. Das Menschsein, oh, das ist eine sehr hatscherte Sache. Bei weitem nicht so glorreich, wie wir uns das damals mit zwölf gedacht haben. Es hat eher den Anschein, als hätte man den verflixten Stein der Weisen zu Sand zerbröselt, in den Wind geworfen, weswegen er sich großflächig über dem gesamten Alltag verteilt hat. Immer wieder glitzert auf einmal ganz unvermutet eins der Sandkörner, wir wundern uns und müssen grinsen.
Immerhin gibt es kaum etwas Schöneres, als sich in einem urteilsfreien Raum Seite an Seite die Verbissenheit von den Knochen zu kletzeln. Da sind alle mit sich selbst beschäftigt und trotzdem stecken wir uns durch unser Mit- und Nebeneinander an. Die meisten (ich eingeschlossen) bleiben viel länger konzentriert auf der Matte, wenn sie in einem Rudel sind. Allein zuhause driften meine Gedanken bald Richtung Konzeption des Mittagessens ab und meine Oma muss ich dann auch oft ganz dringend endlich zurückrufen. Yogagruppen sind super. Aber einwandfrei sind sie nicht – nur für den Fall, dass du da mit rosaroten Vorstellungen liebäugeln solltest. An der Imperfektion liebe ich, dass sie mir vergegenwärtigt, dass überhaupt kein Anlass besteht, etwas zu glorifizieren. Yoga ist ganz wunderbar. Und mir tut meine gemächliche, mehr oder weniger unregelmäßige Praxis, garniert mit einer gehörigen Portion Humor, unheimlich gut. Das Schöne ist: ich kann mir jeglichen Dogmatismus mir selbst und anderen gegenüber sparen. Ich kann mit mir und all meinen Anteilen (und dadurch auch mit anderen Menschen) besser auskommen. Und vor allem kann ich immer wieder schön die Schublade aufmachen, um zu schauen, wen ich da wieder rausholen kann …

Mehr über Gastautorin Eva Karel
Eva Karel wollte einmal unbedingt buddhistische Nonne werden, nahm jedoch bald angesichts der strengen Sitzmeditation Reißaus. Stattdessen ließ sie sich vor bald 20 Jahren zur Yogalehrerin ausbilden und kehrte schließlich nach Wien zurück. Nachdem sie sich einige Jahre mit verbissenen Selbstverwirklichungsambitionen herumgeplagt hatte, dämmerte ihr langsam, wie Yoga praktiziert werden könnte, ohne sich vor lauter Dogmen den Zahnschmelz wegzuknirschen. Es geht doch tatsächlich auch mit Humor, improvisiert und menschlich.
Heute treibt sie als Mitglied des Künstlerinnenkollektivs „Neigungsgruppe Schabernack“ im Atelier Brutstätte ihr Unwesen. Wenn sie nicht gerade an der Uni unterrichtet oder sich Orakel einfallen lässt, schreibt sie Bücher und Artikel (z.B. „Om, Oida! Yoga ohne Maskerade“, Blog: evakarel.at). Ansonsten zieht sie zwei Kinder groß, führt den Hund spazieren, hält Yogakurse und pinselt Menschen auf Leinwand. Ursprünglich stammt sie aus Waidhofen/Ybbs in der niederösterreichischen Pampa.
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[1] https://www.zeitzuleben.de/ich-mach-mein-ding-aber-leider-bin-ich-einsam/