Ein Text von Ines Hofbaur
David Syes ungewöhnliche Art, sein tief fundiertes Wissen mit Leichtigkeit und Humor zu vermitteln, hat ihm den Ruf eingebracht, ein „Bad Boy“ der Yogaszene zu sein. Dafür hat er geschafft, wovon viele Yogalehrende nur träumen: Seine Kurse werden auch von jenen besucht, die sonst nie ein Yogastudio betreten hätten. Seine Methode Yogabeats ist mittlerweile international anerkannt und
weit über die Grenzen seines Heimatlandes hinaus ein Begriff. „Ich wollte einfach mehr Freiheit ins Yoga bringen“, sagt Sye. Yogabeats kenne keine Einschränkungen und biete viel Platz für Spontaneität und Experimente. Er wolle seine Schüler nicht zu „yoga soldiers“ machen, sondern ihnen beibringen, wie Genuss und Glückseligkeit erfahrbar werden, erklärt er im Interview.
„ICH HABE NOCH NIE EINEN FEIND GETROFFEN“
Dass er versucht, sich mit Yoga an jene zu richten, die sonst keinen Zugang dazu haben, ist ein wesentlicher Teil seiner Mission. Seine Arbeit mit den Jugendlichen der Streetgangs in Glasgows Easterhouse macht ihn genauso glücklich wie seine Friedensarbeit mit Palästinensern und Israelis. Obwohl er schon viel Zeit in Kriegsgebieten verbracht habe, sei er noch nie einem Feind begegnet, sagt er. „Ich weiß nicht, was ein Feind ist. Für mich sind das gebrochene, verletzte Menschen. Wie wir.“ Als er im Jahr 2004 das erste Mal zu einem Yogafestival in Israel eingeladen wurde, stieß seine Bedingung, dass er auch mit Palästinensern arbeiten wolle, auf Unverständnis und Widerstand. Er insistierte, und tatsächlich kam eine Yogaeinheit mit traditionell bekleideten Palästinenserinnen auf dem Rasen vor einer Moschee in Jericho zustande. Seither reist er regelmäßig nach Israel und ins Westjordanland. Die Menschen, die er dort trifft, bezeichnet er als seine Familie, die Friedensarbeit erfüllt ihn mit großem Glück.
Was Frieden angeht, weiß David Sye, wovon er spricht – Gewalt und Krieg hat er oft genug am eigenen Leib erfahren. Das Kind russisch- jüdischer Einwanderer wurde in der christlich-strengen Grundschule in London geprügelt und diszipliniert. „Ich war so böse auf alle und habe als Antwort darauf selbst alles ausprobiert, Drogen und Gewalt.“ Dieser Spirale aus Aggressionen, Wut und Rache zu entkommen, war vielleicht sein erster wichtiger Schritt in Richtung Yoga. Irgendwann wurde dem kleinen, drahtigen Burschen bewusst, dass die Antwort auf Gewalt nicht Gewalt sein muss, sondern Vergebung. Und dass er damit aufhören musste, sich und anderen zu schaden. „Ich sah ein, dass Gewalt mich nicht weiter bringt. Im Krieg habe ich später das Gleiche erlebt. Gewalt wird immer weitergegeben. Die Misshandelten misshandeln weiter.“
„ICH MÖCHTE HIGH SEIN. ALLES, WAS ICH DAZU BRAUCHE, IST IN MIR!“
Die Narben, die ihm im Laufe seines bewegten Lebens zugefügt wurden, trägt David Sye für jeden ersichtlich außen. Beinahe sein ganzer drahtiger Körper ist mit Tätowierungen bedeckt. Sie erzählen seine Geschichte: die Trennung von seiner kleinen Tochter nach einer Scheidung in jungen Jahren etwa oder die Momente, als er dem Tod gerade noch einmal von der Schippe sprang. Doch Sye bezeichnet seinen Körper nicht nur als seinen mit Wandmalereien geschmückten Tempel, sondern auch als Hausapotheke, die alles führt, was ihn high macht – „naturally high“ wohlgemerkt, und ganz ohne gesundheitsschädliche Nebenwirkungen.
David Syes große Stärke ist nach eigener Aussage, dass er gerne rebelliert, nichts als gegeben hinnimmt und alles hinterfragt. Schon als kleiner Junge bekam er auf seine bohrenden Fragen Antworten, die für ihn wegweisend waren. Als Sohn eines Schauspielers blickte er immer gerne hinter die Kulissen, erkundete neugierig die andere Seite des Vorhangs und ging dorthin, wo er nicht hingehen sollte. Seinen Weg zum Yoga fand er schließlich über eine schwere Krebserkrankung. Die Aussicht, nach einer lebensrettenden Operation nur stark physisch beeinträchtigt weiterleben zu können, war für Sye keine Option. Ohne sich viel zu erwarten, folgte er dem Rat von Freunden und begab sich in die Hände tschechischer Yogis, die ihn mit Methoden aus dem tibetischen Yoga tatsächlich heilten. Oder besser: ihn dazu brachten, sich selbst zu heilen. Als ihm die Schulmediziner daraufhin besorgten Blickes mitteilten, sie könnten nichts mehr finden, erklärte er ihnen freundlich, dass das ja wohl ihr Problem sei, und fasste den Entschluss, sein Leben dem Yoga zu widmen. Er hatte etwas bekommen, das er von nun an anderen weitergeben wollte.
Es folgten zahlreiche Ausbildungen, unter anderem tibetischer, Iyengar- und Ashtanga Yoga. Doch als seine wichtigste Lehrerin bezeichnet er die gebürtige Ungarin Clara Buck. Auf Wunsch seines Vaters suchte er sie eines Tages in ihrer Wohnung auf, um sie mit seiner Beweglichkeit und seiner Fähigkeit, besonders schwierige Asanas halten zu können, zu beeindrucken. Die alte Lady ignorierte dies komplett und bat ihn nur, einen Blick auf ihre Hand zu werfen. „Schau mal, Darling! Jede Zelle meiner Hand ist voller Liebe. Du musst deinen Körper lieben, sonst wirft er dich raus!“, gab sie ihm mit auf den Weg. David Sye hatte seine Meisterin gefunden.
„IF THERE IS A PROBLEM, LOVE MORE!“
Uneingeschränkte Selbstliebe, Vergebung und Wahrhaftigkeit sind seine wichtigsten Prinzipien, Liebe ist seine Philosophie. „Die wichtigste Beziehung ist die zu dir selbst“, so Sye. „If you want love, give it!“ Um seine Botschaft zu vermitteln, bedient er sich gern unkonventioneller Methoden. Wenn er seine Schüler dabei anleitet, über die eigenen Grenzen zu gehen und Hemmungen zu überwinden, geht es ihm darum, das innere Kind anzusprechen und das hinderliche Ego in seine Schranken zu weisen. Genuss steht im Vordergrund jeder Yogabeats-Praxis. „Zwei Fragen sollte jeder am Ende seines Lebens bejahen können: Habe ich mein Leben genossen, und habe ich andere glücklich gemacht?“, lautet Syes Vision.
Dass während Yogabeats-Einheiten oft laute Club-Musik ertönt, ist darauf zurückzuführen, dass David Sye in den frühen 90ern einen Journalistenjob in Bosnien annahm. Kurz darauf brach dort der Krieg aus, und Musik half ihm, den Kampflärm in der Nähe während seiner Yogapraxis zu übertönen.
Im Studio hilft die Musik den Yogabeatniks dabei, sich hemmungsloser und lustvoller zu bewegen – und einfach Spaß daran zu haben. In den Yogabeats-Workshops steht Philosophie im Vordergrund, die Praxis ist eine spannende Mischung aus verschiedenen Richtungen. Tibetische Feueratmung findet dabei ebenso Platz wie schwindlig-glücklich- machender Sufi-Drehtanz oder eine große Achtsamkeit erfordernde Gourishankar-Meditation nach Osho.
SCHÜTTELN, GEBEN UND NEHMEN
Die Asanas werden bei Yogabeats mit sogenannten „Micromoves“ (kleinen Bewegungen) durchgeführt. Im herabschauenden Hund ziehen sich Wellenbewegungen durch die Wirbelsäule, im Drehsitz darf das Schultergelenk gelockert werden, und im Schulterstand bewegen sich die Beine in alle Richtungen. Dazwischen wird der ganze Körper richtig gut durchgeschüttelt. Partnerübungen verstärken nicht nur die Wirksamkeit der Asanas, sondern vor allem die Achtsamkeit untereinander. Gemeinsamkeit und der gegenseitige Austausch sind David Sye wichtig: „Give and receive!“.
Mehr dazu in der aktuellen yoga.ZEIT Ausgabe Nr. 18
David Sye kommt übrigens im Juni 2015 wieder nach Österreich – auf seiner Website sind noch weitere seiner zahlreichen Workshops zu finden.