Kino MacGregor ist eine der bekanntesten Ashtanga Yogalehrerinnen – hochdiszipliniert und gleichzeitig Enfant terrible der Branche. Im Gespräch mit Gastautorin Birgit Schaller spricht Kino MacGregor über ihre Visionen, ihre lebenslange Reise und wie wir zu unserer innersten Wahrheit vordringen können.
Schweiß tropft auf die Matte, die Muskeln schmerzen, vibrieren tief unter der Haut. Atmen, tief atmen, ein, aus. Fokus, Drishti, Konzentration. „Almost there“, die hohe energetische Stimme mit dem lächelnden Ton von Kino MacGregor erreicht mich wie in Trance. Die Dehnung im Oberschenkel schmerzt.
Da ist plötzlich eine kleine Hand auf meinem Bein und bringt es mit kräftigem Druck in die Streckung. Blut, Schweiß und Tränen sind für die 100 Menschen, die Seite and Seite an diesem Wochenende auf ihren Matten mit der Schwerkraft und inneren Widerständen kämpfen, eine reale Erfahrung. „Es ist spannend sich selbst, seinen Körper, seine Kraft zu prüfen, Asanas tief zu spüren und dabei die Atmung, die Konzentration und das wahre Ziel im Auge zu behalten. So geht uns das Herz auf und wir erfahren die Essenz der Praxis“, lacht die kleine Amerikanerin mit dem kräftigen Körper und dem sanften asiatischen Einschlag ihres japanischen Großvaters. Ihr hochgestecktes blondes Haar wackelt dabei zustimmend im Rhythmus.
Birgit Schaller: Sie haben sich sehr jung für den Weg als Yogi entschieden, was hat dir geholfen deinen eigenen Weg zu finden?
Kino MacGregor: Mit 19 machte ich Shivananda-Style-Yoga, übte, las Bücher. Mit 22 entdeckte ich Ashtanga Yoga. Damals wusste ich nicht, dass Yoga mein Leben bestimmen würde, aber ich fühlte: ich will nach Indien. Und mit 23 – ich arbeitete damals als Freelance-Journalistin, um mir meinen Traum zu finanzieren – ging ich nach weniger als einem Jahr Ashtanga nach Mysore. Dort traf ich Sri Patthabi Jois, diesen kleinen disziplinierten Mann mit dem wackelnden Kopf und der durchdringenden Stimme. Die Begegnung mit ihm war etwas Besonderes, er berührte mein Herz. Das Üben mit ihm hält mich bis heute am Weg. Ich fuhr dann jedes Jahr nach Indien, oft für mehrere Monate, bis heute. Sharath, Gurujis Enkel, führt die Tradition weiter. Er lehrt mich, dass Yoga eine lebenslange Reise ist.
B. S.: Ashtanga Yoga ist körperlich sehr anspruchsvoll und verlangt viel Disziplin. Wo versteckt sich in dieser physischen Welt die Spiritualität?
K. M.: Das Geschenk des Lebens, unser Körper, ist ein großes Geheimnis. Mit der Yogapraxis lernen wir mit diesem Körper Kontakt aufzunehmen. Asanas schenken uns den Blick nach innen und unser Körper lügt nicht; er weiß wie wir uns fühlen. Es ist dieser fokussierte Blick nach innen, der die Essenz der spirituellen Reise der Yogapraxis ist. Um deine Wahrheit zu erfahren, musst du üben. Eine Beziehung zu einem Menschen bauen wir auf, wenn wir ihn kennenlernen, erkunden, mit ihm sprechen, Erfahrungen und Erlebnisse teilen; aber nicht indem wir darüber nachdenken, wie dieser Mensch sein könnte. So ist es mit dem Körper und unserer Seele. Die körperliche Übung ist anziehend, sie steht am Beginn, ist wie die Eingangshalle eines wunderbaren Gebäudes mit unendlich vielen Räumen, Ebenen und Erfahrungen. Der innere Körper – the inner body – ist der Tempel in dir. Seine Wahrheit erfährst du, wenn dein Mind, dein Körper, deine Sinne zur Ruhe kommen und nach innen gerichtet sind.
B. S.: Das verlangt viel Übung.
K. M.: Oh ja! Die Asanas sind das Vehikel, um die innere Wahrheit zu erfahren. Ohne Disziplin und die tägliche Rückkehr zur Matte, bleibt unser inneres Auge untrainiert. Um das Ego abzuschütteln, muss man viel Arbeit hineinstecken. Wenn du ein Musikstück komponieren willst, beginnst du irgendwann mit den Tonleitern, das ist das Fundament. Wirklich weit zu kommen, das braucht viel Disziplin, Demut und Hingabe. Die Spiritualität der Praxis im richtigen State of Mind macht uns bereit, öffnet unser Herz und dann scheint der wahre Funke durch.

B. S.: Manchmal fühlen wir uns beim Üben im Flow. Doch viel öfter ist das Üben schwierig und anstrengend. Unser Körper folgt nicht, unser Geist leistet Widerstand.
K. M.: Yoga ist hart. Die echte Veränderung passiert häufig erst, wenn wir die Matte verlassen. Dann sind wir ein wenig einfühlsamer, offener und gehen bewusster durch die Welt. Ich glaube, jeder Yogi sucht nach Gott. Vielleicht ist das Wort „Gott“ nicht für jeden stimmig, aber wir suchen nach einer tiefen Wahrheit, wollen wissen, warum wir auf der Erde sind. Guruji sagte immer: „Mach deine Yogapraxis und denk dabei an Gott.“ Ich konnte damit lange nichts anfangen, aber irgendwann nach dem Üben fühlte ich diese Präsenz von Weisheit, Wahrheit und Unendlichkeit. Da wusste ich, was er meinte.
B. S.: Welche Schlüssel zur Perfektion gibt es für dich im Üben von Yoga?
K. Ms: Es gibt für mich drei. Einer sind die Asanas, der zweite und wichtigste ist die Atmung. Guruji sagte immer, da wo die Atmung hinfließt, dorthin folgt der Geist. Die Atmung ist das Fenster zu unserem Nervensystem, zu unseren Gefühlen. Sie ist der Wind des Lebens – magisch, wie der erste Atemzug eines Babys und der letzte Funken, wenn ein Mensch geht! Drishti ist der Blick der unseren Geist führt. Aber Yoga braucht viel Zeit. Wissenschaftler/innen haben herausgefunden, dass ein Mensch zumindest 10.000 Stunden mit einer Sache verbringen muss, um Meisterschaft zu erlangen. Guruji sprach von einem lebenslangen Commitment.
B. S.: Das klingt alles sehr spirituell. Doch sie sind auch sehr präsent in der Welt, leiten das Miami Life Center, veröffentlichen DVDs, schreiben Bücher, geben Workshops rund um die Welt und sind Geschäftsfrau und werden dafür kritisiert. Wie halten Sie diese beiden Welten in Balance?
K. M.: Auch Guruji verlangte Geld für Yoga. Er war kein Sadu, der auf Besitz verzichtete und unter den Bäumen lebte. Guruji hatte ein Haus, eine Familie, lebte ein normales Leben. Grundsätzlich muss jeder seinen eigenen Weg finden, sein Dharma entdecken. Als ich jung war, fühlte ich mich verloren und wünschte mir, dass ich die eine Sache finde für die ich auf diese Erde gekommen bin. Mit Ashtanga Yoga habe ich meine Mission gefunden. Ich will Menschen mit Yoga ihr grenzenloses Potential zeigen. Aber auch ich habe einen Mann, zwei Katzen. Vielleicht ist mein Zugang ein nicht ganz traditioneller, aber ich achte darauf, die Ashtanga Linie weiterzuführen. Dass ich DVDs produziere, einen eigenen YouTube-Kanal OmStars gestalte, Instagram intensiv nutze, hilft mir Yoga in die Welt zu bringen. Ja, ich verdiene Geld, trage kurze Shorts, färbe mein Haar blond und sehe mich gern in Büchern. Das wären Gründe, dass Guruji sagt „bad girl“. Aber ich versuche all das mit der traditionellen und spirituellen Yogapraxis zu verbinden. Mir ist wichtig, dass ich das Geld, das ich verdiene bewusst ausgebe und dabei Verantwortung für die Welt übernehme. Mir ist es wichtig, sechs Mal die Woche zu üben. Ich fahre nach Mysore, um mich zu entwickeln. Ich will Yoga zu Millionen Menschen bringen, weil ich glaube, dass Yoga unsere Welt verändern kann und zu einem schöneren Ort macht.
B. S.: Yoga ist ein Trend. Meinen Sie, das ist eine gute Sache oder bringt das auch Probleme?
K. M.: Je mehr Yoga praktiziert wird, umso besser! Ich stelle mir oft vor, die ganze Welt übt Yoga – wunderbar! Stell dir vor, die Staatenlenker/innen dieser Welt übten Yoga oder meditierten, bevor sie die Weltpolitik diskutieren. Stell dir vor, Yoga wäre Teil unserer Kultur und Mindfulness würde unseren Alltag bestimmen. Ich wünsche mir, dass jeder und jede auf diesem Planeten Yoga übt. Wir brauchen Lehrende und Lernende auf jedem Level und Yoga in allen Facetten – Mainstream-Yoga, Yoga-Philosophie, Yin-Yoga, Pranayama. Jede Praxis ist eine gute Praxis. Wenn du auf die Matte gehst, musst du das feiern, egal ob du drei Sonnengrüße machst oder die vierte Serie im Ashtanga. Die beste Praxis ist, wenn du danach das Gefühl hast, du bist ein besserer Mensch – wenn du wieder ein Stück mehr über dich selbst und die Welt gelernt hast. Spread the spirit!
Interview von September 2017

Mehr über Kino MacGregor
Ist in Miami aufgewachsen, hat in New York Holistic Health studiert und besitzt einen Master in Interdiscipinary Studies. Sie ist Mysore zertifizierte Ashtanga Yoga Lehrerin und praktiziert seit ihrem 22. Lebensjahr sechs Mal wöchentlich Yoga. Sie hat 2006 mit ihrem Mann Tim Feldmann das Miami Life Center für Yoga, Holistic Health und Bewusstheit gegründet und reist um die Welt, und lehrt traditionelles Ashtanga Yoga.
MacGregor ist als geschäftstüchtige Frau auch das Enfant terrible der Szene. Sie ist Bloggerin, hat 1,1 Millionen Follower auf Instagram, hat sechs DVDs produziert, mehrere Bücher veröffentlicht, sowie eine kleine Yogamodelinie designt. Dabei arbeitet Kino MacGregor unermüdlich an ihrer persönlichen Weiterentwicklung und trainiert aktuell die 5. Serie mit Sharath Rangaswami, Enkel von Guruji Sri Patthabi Jois. Die Vision von Kino MacGregor ist es Menschen zu unterstützen ihr Potential zu entwickeln und ihr Wissen über Yoga und das Leben zu vertiefen.
Tipps – Zum Erkunden
Website: www.miamilifecenter.com
Bücher: Kino MacGregor – The Yogi Assignement: A 30-Day Program for Bringing Yoga Practice and Wisdom to Your Everyday Life oder The Power of Ashtanga Yoga I und II
DVDs: Yoga for Beginners, Primary, Intermediate, Third Series,
OmStars – The World’s First Yoga TV Channel
Instagram: #kinoyoga
Das Interview führte Birgit Schaller
geb. 1973 in Wien, studierte Handelswissenschaften und ist langjährige Journalistin. Seit zwei Jahren ist Birgit selbständig mit ihrem BiSness, und als Journalistin, Pressefrau und Moderatorin tätig. Die Purkersdorferin ist verheiratet und hat zwei wunderbare Kinder. Seit einiger Zeit ist Birgit glückliche Yogalehrerin in Purkersdorf, Mauerbach und in Unternehmen.
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