Die meisten Eltern wünschen sich, dass Kinder lernen, ihr späteres Leben eigenständig zu führen und harmonisch zu gestalten. Und in unserer modernen, schnelllebig gewordenen Zeit wird von den Kindern erwartet, dass sie sich laufend an neue Situationen anpassen – in der Schule und im Elternhaus. Dadurch sind sie mitunter großen psychischen Belastungen ausgesetzt. Viel zu viel Zeit verbringen sie außerdem sitzend – vor dem Fernseher, bei Computerspielen, bei Hausaufgaben. Dadurch kommt es nicht nur zu einem Mangel an Bewegung. Der Konsum virtueller Szenen, die von Gewalt und Brutalität beherrscht werden, zieht insbesondere den seelischen Zustand von Kindern in Mitleidenschaft. Wenn sie darüber hinaus noch mit Streit oder Scheidung der Eltern konfrontiert werden, müssen sie oft mehr verkraften als ihrer Kinderseele zumutbar ist.
Sie sind also in vielerlei Hinsicht überfordert, und nicht selten reagieren die Kinder mit entsprechenden psychosomatischen Beschwerden wie z. B. Nervosität, Verspannungen, Bauch- oder Kopfschmerzen.
Und obwohl die Technik und die medizinischen Erkenntnisse rasch voranschreiten, zeigt die Statistik,
dass immer mehr Kinder an chronischen Erkrankungen, Erschöpfungszuständen, Übergewicht, Haltungsschäden, Allergien und häufig eben auch an vegetativen Krankheitssymptomen leiden.
Diese alarmierenden Fakten sollten uns zu denken geben? Daher wäre es heute höchste Zeit, auch Kindern Yoga nahe zu bringen.
Wann dürfen, sollen, können Kinder mit Yoga beginnen?
Generell kann Kinderyoga bereits mit drei bis vier Jahren praktiziert werden. Aufgrund der körperlichen Konstitution werden in diesem Alter im Yoga jedoch nur einfache Übungen gewählt, die die Kinder in punkto Kraft und Gleichgewicht nicht überfordern. Denn genau dieser Punkt, Kinder zu überfordern, ist bei Yoga absolut auszuklammern. Es geht nicht um sportliche Leistungsfähigkeit, sondern darum, dass sich das Kind selbst spüren und seinen Körper auf spielerische Art und Weise wahrnehmen lernt.
Die körperliche Entwicklung des Kindes nimmt mit etwa sechs Jahren eine entscheidende Wendung. Bei diesem Umbruch vom Kleinkind zum Schulkind wandelt sich die frühkindliche Körperform, sodass Motorik, Kraft und Gleichgewichtssinn dann besser ausgeprägt sind als im Kleinkindalter. Ab etwa acht Jahren dürfen Kinder somit auch anspruchsvollere Yogaübungen machen.
Im Yoga wurden viele Übungen aus der Natur übernommen. Und Kinder schlüpfen im Kinderyoga augenblicklich in die ihnen zugedachte Rolle als Hund, Hase oder Vogel. Die Asanas sind für Kinder und Erwachsene im Prinzip sehr ähnlich, doch Kinder sind viel natürlicher und spontaner. Sie „machen“ beispielsweise nicht einen Tiger oder Hai, sondern sie „sind“ augenblicklich ein gefährliches Raubtier. Kinder leben in ihrer Fantasiewelt, und die Übungen sind eben der jeweiligen Altersstufe angepasst. So werden bestimmte Asanas, die das Kraftpotenzial der Kinder überfordern oder das endokrine System beeinflussen können, im Kindergartenalter nicht gemacht.
Je jünger die Teilnehmer/innen, umso spielerischer jede Yogaeinheit! Und dass dabei Leistungsdruck und Erwartungshaltung in jedem Fall tabu sind, ist selbstverständlich. Kinderyoga macht Spaß – auch ohne Wettbewerb mit Sieger/innen.
Yoga ist viel mehr als „nur“ Bewegung
Yoga gilt nicht nur als hilfreiche Technik für Erwachsene, die aufgrund von Bewegungsmangel, Stress oder Leistungsdruck unter Rückenschmerzen, Schlaflosigkeit oder Burnout leiden. Auch bei Kindern kann durch Yoga viel Positives bewirkt werden. Es beruht auf dem Prinzip der Polarität (HA = Sonne, THA = Mond), einem ständigen Wechsel von Anspannung und Entspannung, von Aktivität und Ruhe.
Zum einen kräftigen die Körperübungen, die mit den Kindern spielerisch durchführbar sind, die gesamte Muskulatur, machen die Wirbelsäule stark und geschmeidig und beugen damit der Entstehung von Haltungsfehlern bereits im Ansatz vor. Darüber hinaus gelangt durch bewusstes Atmen frischer Sauerstoff in die Lungen, wodurch der Stoffwechselaustausch gefördert und das Immunsystem positiv beeinflusst wird. Das Zentralnervensystem wird gestärkt, die Kinder können sich besser entspannen und konzentrieren, und vor Prüfungssituationen können spezielle Übungen den Kindern zusätzlich helfen, Ruhe zu bewahren.
Vorteilhaft bewährt sich Yoga auch bei Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) oder Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS). Sie werden weithin als „Zappelphilipp“ bezeichnet und strapazieren manchmal die Nerven von Erwachsenen, da sie sich durch ihre chronische Hyperstimulation schwer konzentrieren können und auffallend unruhig wirken.
Wenn wir Forschungsergebnisse heranziehen, so können zahlreiche Studien an Schülern im deutschsprachigen Raum belegen, dass regelmäßiges Yogatraining zur Verbesserung der Aufmerksamkeit führt, die Konzentrations- und Denkfähigkeit gefördert wird, die Kinder ausgeglichener sind und sich entspannter fühlen. Und es konnte eine Steigerung der motorischen Fähigkeiten nachgewiesen werden. Das Praktizieren von Yoga führt bei Kindern aber auch zu einer Abschwächung der Hyperaktivität sowie der Impulsivität, und es zeigt positive Auswirkungen im Sozialverhalten.
Dem Alter entsprechende Atemübungen (Pranayama), Stilleübungen (Meditation) und geleitete Fantasiereisen haben einen beruhigenden Einfluss auf den emotionalen Zustand der Kinder und können sehr hilfreich sein, den emotionalen Stress abzubauen, das verlorene Selbstvertrauen wieder zu finden und zu stärken.
Durch regelmäßiges Yogatraining entwickeln Kinder immer besser die Fähigkeit, in sich selbst zu ruhen. Ihre Zerstreutheit wandelt sich in Aufmerksamkeit. Die Kinder werden mit der Zeit spürbar ausgeglichener, ruhiger und können sich wieder konzentriert ihren Aufgaben zuwenden.
12 HITS – YOGA BENEFITS für KIDS:
- Kräftigung der gesamten Muskulatur
- Flexibilität der Wirbelsäule
- Förderung einer geraden, aufrechten Haltung
- Stärkung des Immunsystems
- Förderung des Selbstvertrauens und innerer Ruhe
- Entwickeln von Selbstbewusstsein und Kreativität
- Abbau von Ängsten und Lernblockaden
- Abschwächung von Hyperaktivität
- Verbesserung der Aufmerksamkeit
- Steigerung der Konzentrations- und Lernfähigkeit
- positive Auswirkungen im sozialen Miteinander
- Stärkung ganzheitlicher Gesundheit
Kinderyoga für dich und dein Kind – Tipps von Prof. Mag. Gerti Nausch
Wenn du Kinderyoga in für dich und deinen Nachwuchs im Alltag integrieren willst, habe ich folgende Anregungen für dich: Generell wichtig sind für Kinder Rituale, um ihnen Vertrauen und Geborgenheit zu vermitteln. Heute sind diese Rituale in vielen Familien verloren gegangen. Wenn du Kinderyoga für dich und deine Kinder erleben willst, dann mache jede Yoga-Einheit zu einem Ritual! Reserviere eine ganz bestimmte Uhrzeit – zumindest an einem, besser jedoch an zwei oder drei Tagen in der Woche – und „spiele“ mit deinem Kind Yoga. Wenn möglich, dann lege eine Matte und eine kuschelige Decke auf einen ganz bestimmten Platz und behalte diese „Yogaecke“ bei. Achte unbedingt darauf, dass du während der nächsten 30–50 Minuten ungestört bleibst und schalte dein Handy aus. Lass das Kind mit deiner Hilfe eine Kerze entzünden, ein Ritual, das Kinder lieben. Beginne mit einer kleinen Geschichte oder einer positiven Affirmation, etwa: „Ich freue mich, dass heute…“ (ohne irgendwelche Bedingungen an das Kind zu knüpfen!) Wenn die Kerze an einem sicheren Ort steht, beginne mit der Übungspraxis, gemeinsam mit deinem Kind. Es wird euch beiden gut tun!
Fotocredit bei Sujetbild: Wari Om Photography (3)
Über die Gastautorin:
Prof. Mag. Gerti Nausch lebt in Baden bei Wien.
Studium an der Universität Wien: Pädagogik in Kombination mit Sonder- und Heilpädagogik und Psychologie.
Sie unterrichtete von 1976 bis 2009 an der Praxisschule der Pädagogischen Hochschule. Dabei ließ sie ab Mitte der 80er-Jahre Entspannungstechniken und Yogaelemente in ihren Unterricht und in ihre Seminare einfließen.
Die Autorin praktiziert Yoga seit 1972, leitet Yogakurse, Yogalehrerausbildungen und Yoga-Workshops für Pädagogen. Seit 2005 leitet sie in ihrer selbstständigen Praxis Coachings und Systemische Aufstellungen in Einzelsitzungen.
Wissenschaftliche Forschungsarbeit: Die Wirkungsrelevanz von Entspannungstechniken in stressinduzierten Situationen (2002)
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