In Teil 1 der Artikel-Serie “Tantra-Mythen und Yoga-Klischees“ widmet sich Autorin Danja Lutz dem Thema Karma. Sie erklärt, was Karma laut traditionellem Verständnis ist, warum es kein schlechtes Karma gibt und wie wir aus dem Karma-Zyklus aussteigen können.
Vorgestern ist es mir wieder über den Weg gelaufen. Das gute alte Karma-Schreckgespenst. Ich kam nicht umhin, einem im öffentlichen Raum geführten Telefonat beizuwohnen, bei dem sich eine junge Frau mit ihrer Freundin über das schlechte Karma einer weiteren Freundin unterhielt. Es schien, als würde der Weg dieser Frau ausweglos direkt in der Karma-Hölle enden.
Karma – es scheint hinter jedem Busch zu lauern, um uns ordentlich eins über die Rübe zu ziehen, wenn wir etwas „falsch“ gemacht haben. So wird es jedenfalls oft interpretiert: Nach jeder „falschen“ Handlung, gibt es als Resultat schlechtes Karma und wir dürfen die Bestrafung entgegen nehmen. Doch was bedeutet überhaupt „falsch“ zu handeln. Was veranlasst uns dazu?
Karma resultiert aus einem Zustand des Nicht-Wissens
Der Begriff „Karma“ leitet sich von der sanskrit-Wurzel „kr” ab und bedeutet nichts anderes als „wirken, tun, handeln“. Interpretationen der alten yogischen Lehren vermitteln uns: alle Erfahrungen in unserem Leben und auch das Leid kreieren wir selbst und alles Handeln und – genauso wichtig – Nicht-Handeln bringt Konsequenzen mit sich.
Karma im traditionellen Kontext entspringt aus einer begrenzten Wahrnehmung, die dazu führt, dass wir uns selbst als abgetrenntes, schwaches Wesen erleben, das sich unerbittlich anstrengen muss um nicht unterzugehen. Dieser Blick erzeugt zwangsläufig Handlungen, bei denen wir auf unseren eigenen Vorteil bedacht sind und abwägen, was denn am Ende für uns rausspringt.
Als Erfahrungszustand ist Karma also genährt von einem Identitätsbewusstsein, das auf einem von Ego und Trennung konditionierten Selbst basiert. Treibende Kraft ist dabei die unbewusste Annahme, dass du in deinem jetzigen Zustand weder perfekt, noch komplett bist, sondern ein unwichtiges Lebewesen – begrenzt, kraftlos und in manchen Momenten versinkend in Bedeutungslosigkeit.
Sie ist der Nährboden für Handlungen mit Nachwehen, die dich wie in einem Kreislauf, vielmehr in der Knechtschaft von Ich-bin-zu-wenig halten. Der Zyklus von Handlungen, der aus dieser Unwissenheit motiviert ist und die dazugehörigen Reaktionen werden karma genannt.
Raga und Dvesha – ein verhängnisvolles Dreamteam
Unwissenheit steht hier im Kontext von Anhaftung oder Unbedingt-haben-wollen auf der einen Seite und Widerstand auf der anderen Seite. Yoga bezeichnet dieses verhängnisvolle Dreamteam als Raga und Dvesha.
Raga (Anhaftung) ist die Annahme, dass wir erst noch etwas von Außen brauchen, um ein erfülltes Leben führen zu können. Dvesha (Widerstand) ist dieselbe – nur invertierte – Schwingung: Wir sind davon überzeugt, so lange unerfüllt leiden zu müssen, bis bestimmte Dinge in unserem Leben eliminiert sind. Wenn diese beiden unsere Antreiber sind, kreieren wir notgedrungen Handlungen, die Schmerzen für uns und andere Menschen schaffen. Je mehr wir in diese beiden verstrickt sind, desto extremer unsere Taten. Ein Klassiker ist zum Beispiel der etwas raga-lastige Liebesbeweis: „Ich kann ohne dich nicht leben!“. Solch tief verankerte Glaubensmuster und das weitreichende Wirkungsspektrum der dazu gehörigen Handlungen erzeugen größten karmischen Widerhall.
Jedes Mal wenn unsere Handlungen aus einem Nicht-Einheits-Bewusstsein kommen, jedes Mal wenn wir agieren, weil wir das Leben als Last empfinden oder auf eine bessere Zukunft hoffen, jedes Mal wenn wir „Politik“ machen und Deals eingehen, setzen wir die Segel mit voller Kraft voraus, hinein ins Desaster.
Nur Taten, die als spontaner Ausdruck unserer wahren Natur, ohne persönliches Motiv von Anhaftung oder Ablehnung, ohne Schielen auf ein bestimmtes Resultat und ohne Eigentumsanspruch entstehen, haben keine bindenden karmischen Auswirkungen.
Wie also aus dem karmischen Zyklus aussteigen?
Der tantrische Ansatz regt dazu an, dich nicht so sehr um karma selbst, sondern um die Wurzel allen Übels zu kümmern: zu begreifen, dass dir nichts hinzugefügt werden muss, um komplett zu sein und auch nichts aus dir „heraus gedetoxed“ werden muss, damit du endlich „richtig“ bist.
Dieser Zustand von tiefer Liebe und Respekt für dein eigenes Sein, ist die Grundlage dafür, in Zukunft Handlungen zu setzen, die kein egoistisches Motiv haben. Indem du die Identität hinter dir lässt, die vergangene karmische Verstrickungen generiert hat, gehst du einen großen Schritt Richtung Freiheit. Nur wenn du dich selbst als getrennt vom großen Ganzen oder Göttlichen wahrnimmst, hat dich karma in der Hand.
Weiter ist es wichtig zu begreifen, dass es immer die Wurzel und nicht die Frucht ist, die eine Handlung selbstsüchtig macht. Das bedeutet: wir erkennen oft an der Handlung selbst noch nicht, ob sie karmische Auswirkungen mit sich bringt. Weil es vielmehr um die Motivation dahinter geht. Entsteht die Handlung direkt aus dem Herzen, als natürlicher Ausdruck deines authentischen Selbst? Gibst du, weil dein Herz geben möchte? Oder gibst du aus lauter Angst, weil sich dein Ego vor dem Karma-Knüppel fürchtet?
Als wunderschön heilsame Konsequenz ist hier herauszulesen, dass wir uns so richtig an den Früchten unseres Handelns freuen dürfen. Wir müssen uns nicht schuldig fühlen, wenn wir glücklich sind und können die Glorifizierung des Nicht-Zufrieden-Seins beenden. Wir dürfen das angstvolle Warten auf die nächste Katastrophe aufgeben, weil wir in dem tiefen uns inhärenten Wissen verankert sind, dass nichts „Schlechtes“ passieren kann.
Alle auf den ersten Blick ungemütlichen Wellen, die sich an der Oberfläche manifestieren und die so gar nicht ins Bild passen, das wir vom Leben haben, sind nur ein Appell, uns aus der Opferhaltung zu erheben. Sie sind ein Impuls, uns einem Verständnis anzunähern, dass diese Wellen niemals eine Bestrafung sind, sondern immer der nächste logische Wachstumsschritt.
Und zu guter Letzt, das Knüppelgespenst betreffend: Es gibt kein schlechtes Karma. Genauso wenig wie es gutes Karma gibt.
Es gibt einfach nur Karma.
Entweder wir befinden uns im Zustand von Karma oder in dem von Dharma.
Entweder wir befinden uns in einem Bewusstseinszustand, der uns immer mehr in die Beschränktheit, Isolation und Opferhaltung führt oder im Fluss mit der Natur, verbunden mit und geführt von ihrer unendlichen, alles ordnenden Intelligenz.
Ganz kurz zur Artikel-Serie “Tantra-Mythen & Yoga-Klischees.”:
Diese ist dem Entstauben und Hinterfragen gewidmet. Autorin Danja Lutz möchte mit ihren Texten Blickwinkel eröffnen, die aus einem in traditionellen Texten verankerten Verständnis für Yoga und Tantra entstehen. Danja will aufdecken und beleuchten, in scheinbar fertig Sortiertem kramen und zum Neu-Ordnen anregen. Zieht euch warm an, ihr Klischees, die ihr in der Yogawelt kursiert und eure Mätzchen treibt. Ab jetzt wird gebohrt und gestierlt und wir werden sehen, was dran ist an euch.
Mehr über Danja gibt’s auf www.soulshakti.at
Fotocredit: Lena Raubaum
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