Gerald Hüther ist Neurobiologe, Vollblutwissenschaftler und Potenzialentfaltungs-Visionär. Regisseurin Catharina Roland unterhielt sich für ihren Film AWAKE2PARADISE mit ihm darüber, wie Lernen eigentlich funktioniert, warum hier Düngergießkannen eine Rolle spielen und vor allem, wie wir wirklich unsere Potenziale entfalten können …
Hier liest du Auszüge aus diesem Interview.
Catharina Rolad: Gerald Hüther, wie funktioniert Lernen eigentlich?
Gerald Hüther: Das kommt darauf an, was man unter „Lernen“ versteht. Darunter stellen wir uns nämlich im Allgemeinen ein Aufnehmen kognitiver Inhalte vor wie Auswendiglernen von Vokabeln, Formeln und dergleichen. Aus neurobiologischer Perspektive ist dies aber der geringste Teil dessen, was wir lernen. Die wesentlichen Lernerfahrungen im Leben passieren ganzkörperlich und nicht durch Hirn-Training. Eine der bemerkenswertesten Erkenntnisse aus der Hirnforschung ist, dass das Hirn nicht so funktioniert wie ein Muskel. Das kann man nicht trainieren.
Das heißt, pures Büffeln bringt nichts?
Gerald Hüther: Es kann sein, dass da manches hängen bleibt, nur auswendig Gelerntes berührt einen nicht. Das führt nur dazu, dass wir – nach Erkenntnissen der Bildungsforschung – ein, zwei Jahre nach der Matura nur noch fünf bis zehn Prozent von dem ganzen Schulstoff wissen.
Damit im Hirn langfristig etwas verankert wird, muss das, was man lernt, begeistern, unter die Haut gehen. Neurobiologisch heißt das: es muss zu einer Aktivierung der emotionalen Zentren und zur Freisetzung neuroplastischer Botenstoffe im Hirn kommen, sodass neu Gelerntes in Form von neuaufgebauten Netzwerken gefestigt wird. Dann bleibt es hängen. Diese neuroplatischen Botenstoffe sind wie eine Gehirn-Düngergießkanne, die dazu führt, dass man nicht mehr das gleiche Gehirn wie zuvor hat. Im Informationszeitalter nützt es den Menschen nicht mehr viel, Wissen einfach nur abzuspeichern. Da ist mehr gefragt.
Aber oft müssen wir uns mit etwas beschäftigen, das uns nicht interessiert. Können wir denn immer so zu lernen, dass es unter die Haut geht?
Gerald Hüther: Neurobiologisch wäre das erstrebenswert – Umfelder zu schaffen, die Schüler/innen einladen, sich all das Wissen dieser Welt selbst anzueignen. Und das werden sie nur dann tun, wenn das Motiv für den Lernprozess den Talenten entspricht und aus ihnen selbst kommt. Es kann ja keiner wissen, was in 30 Jahren, wenn das Kind dann im Leben steht, gebraucht wird. Wie kann man dann sagen, was das Kind jetzt zu lernen hat?
Am Anfang des Lebens haben wir nur durch Begeisterung gelernt – von Krabbeln, übers Laufen bis zum Sprechen. Das ist uns nicht gelehrt worden, das lernten wir, weil wir es wollten. Es war – wie wir das nennen – „emotional aufgeladen“, weil es uns berührt und euphorische Gefühle in uns geweckt hat.
Und was, wenn sich eine Lehrperson für ihr Thema oder Fach begeistert und diese Begeisterung überspringt? Kommt es dann nicht auch zu „emotionaler Aufladung“?
Gerald Hüther: Ja und Nein. Lernstoff kann man zwar an eine emotional aufgeladene Person koppeln. Das Optimum ist das aber nicht, weil man eigentlich keinen Stoff lernt, sondern, wie man jemandem gefällt, der einem gefällt.
Die größte Gefahr einer emotionalen Koppelung ist allerdings die an Belohnung und Bestrafung – Noten, Lob, Punkte, Geld fürs Zeugnis und so weiter. So lernen Kinder nur, wie sie Belohnungsergatter oder Strafvermeider werden und ihre Potenziale werden im Leistungsdruck erstickt. Wenn Kinder dann noch von einer Fördermaßnahme zur anderen geschleppt werden, hat das Kind gar keine Zeit und Ruhe mehr, etwas aus eigenem Antrieb zu leisten, spielerisch damit umzugehen und verliert irgendwann das, was das Wichtigste ist, das es auf die Welt mitbringt: die Lust am Lernen, am Entdecken, am Gestalten, an Weiterentwicklung.
Das heißt, das Lernen, das in Schulen – nicht überall – aber vielerorts stattfindet funktioniert eigentlich so nicht mehr.
Gerald Hüther: Oh doch, natürlich funktioniert es. Weil das, was in den Schulen im Allgemeinen passiert, genau dem dient, wofür sie gemacht wurden. Zu Kaiserzeiten waren Schulen da, um die Monarchie zu erhalten. In den 20er Jahren, um Soldaten zu erziehen. In unserer Konsumgesellschaft brauchen wir Menschen, die sich nicht gesehen fühlen, an ungestillten Bedürfnissen leiden, damit sie Ersatzbefriedigungen suchen – in Form von Konsum.
Wer frei und begeistert ist, könnte vielleicht auf eine gute Idee kommen. Nämlich darauf, dass er – anstatt für Freizeit zu arbeiten – in diesem Leben dazu beiträgt, dass sich das, was dieses Leben in sich trägt weiter entfalten kann. Wenn junge Leute aus den Schulen kämen, die sich gut fühlen, Lust haben aufs Leben, gemeinsam loslegen und in dieser Welt etwas verändern wollen, müssten innerhalb der nächsten vier Wochen sämtliche Geschäfte schließen, denn 90% von dem, was da verkauft wird, braucht so ein Mensch nicht.
Und was braucht so ein Mensch?
Gerald Hüther: Verbundenheit – das ist das, wonach wir wirklich in der Welt suchen. Und gleichzeitig aus dieser Verbundenheit über sich hinauszuwachsen. Verbundenheit und Freiheit sind Grunderfahrungen, die wir mit auf die Welt bringen und die nicht verletzt werden dürfen. Weder darf ein Kind die Erfahrung machen, dass es in seiner Einzigartigkeit nicht gesehen wird, noch, dass es irgendwo nicht dazu gehört.
Deshalb müssen wir – anstatt in einer Getrenntheit und einem Wettbewerb weiterzumachen – in dieses Gefühl von Verbundenheit zurückzufinden: zur Natur, zu anderen Menschen, zu unserer Kultur. Nur dann werden wir Verantwortung übernehmen und auf diesem Planeten überleben.
Das Zeitalter der Einzelkämpfer ist vorbei – Menschen unterschiedlicher Expertisen müssen zusammenkommen und etwas schaffen, was über das, was Einzelne kann, hinausgeht. Dann passiert wahre Potentialentfaltung! Die weltweiten Probleme können nur durch mutige, begeisterte Menschen gelöst werden. Co-Kreativität ist gefragt – ein Austausch von Ideen. Alle großen Dinge der Menschheitsgeschichte sind co-kreative Leistungen gewesen.
Und deshalb glaube ich ist es gut, wenn man ein bisschen vorsichtig miteinander umgeht, sich wechselseitig hilft. Sich inspiriert, in gute Vorstellungen zu kommen, die gut tun anstatt sich gegenseitig darin zu bestärken, dass das Leben keinen Spaß macht und dass es furchtbar ist. Und das es sowieso nicht geht. Wie wäre es, wenn wir statt: „Wird sowieso nix und haben wir noch nie hingekriegt.“ einfach sagen „Wir schaffen das!“?
Gerald Hüther, Dr. rer. nat. Dr. med. habil.,
geb. 1951 in Emleben (D) ist Neurobiologe, Autor zahlreicher populärwissenschaftl. Bücher und Schriften, Vater eines Sohnes
Er vermittelt wissenschaftliche Sachverhalte verständlich für Laien, ohne dabei die Komplexität der im Gehirn ablaufenden Prozesse zu vereinfachen. Sein Buch „Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn“ wurde allein in Deutschland über 100.000 Mal verkauft, in 9 Sprachen übersetzt und befindet sich in der 12. Auflage.
Seine große Vision: Lebensbedingungen zu schaffen, in der sich menschliche Potenziale entfalten können – im Bereich der Erziehung und Bildung, genauso wie in politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen. Dieser Passion geht er seit 2015 als Initiator und Vorstand der „Akademie für Potentialentfaltung“ nach.
Catharina Roland
geb. 1969 in Wien, studierte Regie und Schauspiel, Theaterwissenschaft, Publizistik und Psychologie. Für ihre Dokumentarfilme „AWAKE” und “AWAKE2PARADISE” reiste die charismatische Filmemacherin um die Welt, um die Puzzlesteine wissenschaftlicher Erkenntnisse und mystischen Wissens zusammenzusetzen und einen Beitrag zu dem erwachenden Bewusstsein zu leisten.
Mehr dazu auf www.awakeinthedream.net
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