“Du gehst den Jakobsweg? Aber du machst doch Yoga, oder?” wurde ich gefragt, bevor ich mich gemeinsam mit meinem damaligen Freund auf eine gehende Reise von rund 750 km begab. Warum aber genau langes Gehen und Yoga soviel ge(h)meinsam haben, dass sei hier erzählt …
Sie alle machen sich auf den Weg. Hinduisten und Hinduistinnen zum Ursprung des Ganges oder zum Berg Kailash. Buddhisten und Buddhistinnen zum Ort von Buddhas Erleuchtung. Muslime und Musliminnen nach Mekka. Juden und Jüdinnen nach Jerusalem. Christen und Christinnen nach Rom, Assisi oder Santiago de Compostela. Keine Frage, es dürfte was dran sein an einem tage-, wochen- und monatelangen Unterwegssein in Gedenken an etwas Höheres. Nur was genau?
Zugegeben: weder hat mich Paolo Coelho verzaubert, noch Hape Kerkeling mit „Ich bin dann mal weg“ mein Herz so berührt, dass ich mir schon immer dachte: „Wow. Der Jakobsweg. Das muss es sein.“ Nein, das war anders. Mein Freund und ich wussten, dass wir zwei Monate frei hatten und weg wollten. Als wir dann im Lauf der Planung so gut wie alle Reiserouten der Welt durchhatten und sich bei jeder Möglichkeit immer noch Zweifel in mir regten, rief mein Freund (und jetziger Ehemann) mich eines Tages an und meinte: „Du, was hältst du vom Jakobsweg?“ und ich erwiderte nur: „Okay.“ So war das. Äußerst unspektakulär.
Doch je mehr ich danach über die Entscheidung nachdachte, desto mehr Sinn ergab sie. Einfach mal wieder nur gehen und die menschliche Geschwindigkeit erleben. Einfach mal wieder ganz viel draußen an der frischen Luft sein. Einfach mal wieder so wenig wie möglich und so viel wie notwendig mitnehmen. Einfach mal wieder einfach sein. Das fühlte sich gut an. Also: Rucksack packen, Wanderschuhe einlaufen, Pilgerpass besorgen. Los ging’s … nein, los gingen wir.
Buen camino – Wir gehen los
Wir entschieden uns für den Camino Frances, der von St. Jean-Pied-de-Port an der französischen Grenze 754 km bis nach Santiago de Compostela führt. Man muss wissen, dieser ist nur EIN Jakobsweg von vielen, denn als Jakobsweg wird heute ein weitläufiges Wanderpfadnetz bezeichnet, das sich über den gesamten Kontinent Europa (und teilweise sogar darüber hinaus) erstreckt. Der Camino Frances gehört jedoch eindeutig zu den Hauptstrecken und erfuhr in der Neuzeit als Pilgerpfad eine wichtige Wiederbelebung ab den 1970ern. Nicht zuletzt, weil ein spanischer Bischof dafür sorgte, dass der Weg ausreichend mit gelben Pfeilen und den berühmten Jakobsmuscheln versehen wurde. Und zwar gründlich. Doch es heißt, der Jakobsweg beginne dort, wo man anfange zu gehen und so gingen wir von Pamplona los gen Santiago de Compostela.
Ich muss gestehen, dass ich lange, wirklich sehr lange überlegt habe, worauf ich beim Schreiben über den Jakobsweg meinen Fokus legen möchte. Auf all die Begegnungen mit Menschen, die diesen Weg gehen und von denen jeder – im wahrsten Sinne des Wortes – seinen eigenen Rucksack zu tragen hat? Auf die vielen unterschiedlichen Landschaften, die Spanien zu bieten hat? Auf die Gedanken, die einem als Mensch und als Paar so durch Kopf, Herz und Bauch gehen, wenn man sich täglich an die 7 Stunden per pedes fortbewegt?
In meinen Überlegungen kam ich jedoch schließlich auf ein Thema, das mich selbst – als ich davon erfuhr – sehr bewegt hat und das für mich eine gute Brücke zum Yoga schlägt. Unter Pilger-Insidern erzählt man sich nämlich, dass jeder Camino drei Abschnitte habe – den körperlichen, den geistigen und den spirituellen. Und darauf will ich nun näher eingehen.
Der körperliche Aspekt – „Ich pilgere, also gehe ich.“
Eines ist klar: Befindet man sich nicht gerade im Pilgertraining, tun einem Füße, Beine, Rücken und rucksacktragende Schultern in den ersten Tagen einfach – und ich muss es so ausdrücken – sauweh. Knöchel stechen, Knie schwellen an, Verspannungen und Entzündungen machen sich breit. Doch in beinahe jedem Ort befindet sich eine Apotheke, und Leid vereint Menschen. Gegenseitige Unterstützung von Pilger zu Pilger ist stets gegeben – ob mit Blasenpflastern, Verbandszeug oder einem simplen „Are you okay?“. Asanas zwischendurch lindern ebenfalls sämtliche „Geh-brechen“. Wie schön war es doch, in einer der Herbergen nach langer Zeit wieder eine Yogastunde mitzumachen. Abgesehen davon, dass ich selbst sämtlichen Pilgern und Pilgerinnen den nach unten schauenden Hund an Herz und Beine gelegt habe und mir wieder einmal bewusst wurde, wie wenig ich selbst meine eigenen Grenzen im Gehen und Marschieren überschritten habe, einfach dadurch, dass mich Yoga gelehrt hat, gut auf mich selbst und meinen Körper zu hören.
Denn der Körper lehrt jeden und jede: Es lohnt, sich an das eigene Tempo zu halten und einfach gut für sich und vor allem für seine Füße zu sorgen. Und wem das gelingt, dem offenbaren sich „Fort-Schritte“ – in jeder Hinsicht. Der Körper gewinnt an Kraft und Druchhaltevermögen und nimmt zunehmend wahr, was sich ihm noch offenbart – sieht Marienkäfer, Schmetterlinge, herrliche Landschaften und unzählige Herzformen, riecht Rosmarin, gemähtes Getreide und frische Luft, schmeckt Feigen, Olivenöl und sonnengereifte Tomaten, hört Pilgerschritte und rauschende Bäche, spürt den Wind in den Haaren, die Sonne im Gesicht und den Pilgerstab in der Hand.
Der geistige Aspekt – „Ich pilgere, also denke ich.“
Hat sich der Körper schließlich an das Gehen gewöhnt, ist Platz dafür, dass der Geist in die Gänge kommt. Ganz klar, stundenlanges Gehen und die viele Zeit machen nachdenklich. Gedanken kommen auf – banaler, tiefgründiger und erhellender Natur. Von „Wo sollen wir denn heute schlafen?“ über „Was ist denn das für ein Getreide?“, „Wie viele Staaten hat eigentlich Afrika?“ bis „Wovor fürchte ich mich?“ oder „Was macht mich wirklich glücklich?“ ist da alles drin. Das Besondere auf dem Weg ist nicht nur der geistige Austausch mit sich selbst, sondern vor allem mit den Menschen, die mit einem gehen. Jeder hat seine Beweggründe für den Camino und jeder hat einen Rucksack (eben auch im übertragenen Sinn). Keinen der Menschen, denen wir begegnet sind, will ich missen. Weder Philipp, den 13-jährigen Buben aus Köln, dem ich zeigen durfte, dass Yoga doch anstrengend sein kann, noch das schnarchende Paar um die 60 aus Belgien, das uns ruhige Nächte noch mehr wertschätzen hat lassen, noch Silvana, die 50-jährige Italienerin, die nächstes Jahr erblinden wird und uns wahres Vertrauen gelehrt hat, noch die Kanadier Angus, Lou, Bryan, Phil und Brittany, mit denen wir Wege und Abende lang gekocht, geplaudert, gelacht, philosophiert und gesungen haben. An dieser Stelle: Mensch, lerne zu singen – es lässt dich in den mühsamsten Momenten weitergehen …
Der spirituelle Aspekt – „Ich pilgere, also glaube ich.“
Auf einem Pilgerweg wird man früher oder später mit Gläubigkeit konfrontiert. Ich glaube, das ist einer der wichtigsten und wohl auch persönlichsten Aspekte der Reise. Wir trafen nicht sehr viele, die von sich behauptet hätten, den Weg aus religiösen Gründen zu gehen, aber sehr wohl viele, die aufgrund einer spirituellen Überzeugung unterwegs waren. Ich selbst ertappte oft bei dem Gedanken, dass ich als jemand, der katholisch aufgewachsen, aus der Kirche ausgetreten, yogabegeistert und interessiert an sämtlichen Religionsideen der Welt ist, immer noch ziemlich „glaubensverwirrt“ bin. Dies teilend mit einer angehenden Priesterin, die atheistisch aufgewachsen war, bekam ich ein Buch von ihr empfohlen, das „Die Seele der Welt“ heißt – für mich die perfekte Lektüre am Camino, da es in Form einer Erzählung die Gemeinsamkeiten der Religionen einfach und klar erläutert.
Und noch etwas Wichtiges entdeckte ich wieder und wohl noch überzeugter für mich auf dem Weg: Das, woran wir glauben, bestimmt unser Sein. Mit „glauben“ meine ich dabei nicht unbedingt eine Religion oder Tradition, an die wir uns halten, sondern vielmehr all das, was oder woran wir glauben, was wir denken, wovon wir überzeugt sind. Übrigens stammt das Wort „glauben“ von dem indogermanischen Begriff „leubh“, der mit „begehren“, „lieb haben“, „für lieb erklären“, „gutheißen“ oder „loben“ übersetzt werden kann.
Nun, ich glaube in jedem Fall, dass ich es nur jedem an Herz und Füße legen kann, sich auf eine Pilgerreise zu begeben. In diesem Sinne: Buen Camino!
Jakobsweg Packliste – für alle, die gleich losgehen wollen:
– Rucksack (50 l)
– Pilgermuschel
– 3 Sport-Shirts (mit Ärmeln wegen Rucksacktragerei)
– eine lange Hose zum Abzippen (z. B. von Jack Wolfskin)
– eine gemütliche Hose als Pyjama-Hose bzw. für die Yoga Praxis
– 3 Sport-BHS
– 2 Paar Wandersocken
– Fleece-Jacke
– Regenponcho (der auch über den Rucksack drübergeht)
– Wanderschuhe (gut eingegangen)
– Flip-Flops oder Crocs
– leichter Hüttenschlafsack
– Trinkflasche (1 l ist ausreichend)
– Sonnenhut oder Tuch
– Taschenmesser
– Tagebuch
– Stift
– große Frischhaltebeutel für Schmutzwäsche
– Reisehandtuch
– Reiseapotheke: Compeed Blasenpflaster, Sonnencreme, Jod, Leukoplast, Voltarensalbe
– Waschzeug: Bürste oder Kamm, Seife (am besten eine, die Duschgel und Shampoo in einem ist – z. B. von Lush), Zahnbürste, Zahnpasta, Rasierer)
– Handy + Ladekabel
– Pilgerpass
– Pass
– Geld
Gesamtgewicht: nicht mehr als 8 kg (Frauen) / 10 kg (Männer)
Für alle, die am Weg lesen wollen: Generell empfiehlt es sich für Leser eher kein Buch mitzunehmen (ist nur extra Gewicht) und lieber Bücher oder Hörbücher auf’s Smartphone zu laden.
Nicht notwendig, aber SEEEHR bewährt:
– Vibram FiveFingers (sie geben den Zehen ihre individuelle Persönlichkeit zurück!)
– Pilgerstab
– Stoffsackerl (wenn man einkaufen und Plastiksackerlmüll reduzieren will)
Fotos: Lena Raubaum, Rasmus Raubaum
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