Wie wohl fühlst du dich mit dir allein? Wie oft verbringst du Zeit mit dir selbst? Warum es wichtig ist, das All-Eins-Sein zu pflegen und wie das geht, darüber schreibt hier Nives Gobo.
Allein oder einsam?
Wir leben in einer Welt, in der viele Menschen alleine sind. Einsam, um es besser auszudrücken. Denn oft haben wir nicht gelernt, wie wichtig und nährend es sein kann, Zeit mit sich selbst zu verbringen. Mit der eignen Innenwelt und ihren Gefühlen und Seinszuständen. Allein zu sein wird in unserer Gesellschaft oft mit sozial nicht aktiv, asketisch, „aus der Gesellschaft draußen” verbunden. Darum haben viele Menschen Angst davor, allein zu sein. Weil sie Angst davor haben, was sie denn dann so alles fühlen könnten. Im stillen Dialog mit sich selbst. Denn auch wenn wir vermeintlich alleine sind – also mit uns selbst und ohne Kontakt zu anderen Lebewesen – spielt sich in unserem Kopf meist ein vielstimmiges Konzert ab. Von all den Stimmen der vielen Ichs, die dann gemeinsam ein Wir bilden.
Heilsame Zeit mit dir selbst
Für eine Zeit alleine zu weilen ist heilsam für Körper, Geist und Seele und vor allem heilsam für ein WIR. Denn die Beziehung zu dir selbst bildet die Grundlage, damit du überhaupt Beziehungen zu anderen eingehen kannst. Die Beziehung die du zu dir selbst hast, wird alles im Außen definieren, was du erlebst. Dir Zeit für dich zu nehmen, bedeutet, dass du dir über deine Gefühle und Gedanken klar werden kannst. Tiefer blicken kannst auf das, wo du gerade stehst und was dich gerade bewegt. Es bedeutet, dass du dir den Raum gibst mehr nach Innen zu gehen anstatt dich im Außen abzulenken. Denn mitunter nutzen wir unsere sozialen Kontakte auch dafür, uns von unseren eigenen Ungleichgewichten abzulenken. Und eben nicht genau hinzusehen, wie es uns denn eigentlich geht.
Das Leben bewegt sich in zwei Richtungen. Expansion und Implosion. Wir brauchen von beiden die gleiche Ration, um in der Mitte – mitten im Leben anzukommen. Manchmal ist es nährend, in die soziale Beziehung zu anderen zu gehen, die Spiegelreflektoren sich spiegeln zu lassen, damit wir einen Teil von uns selbst erkennen. Nämlich den, der sich zu anderen in Beziehung setzt, damit er sich selbst verstehen kann. Doch jeder von uns hat Anteile seiner vielen Ichs in sich, die wir oft vor anderen verbergen. Um diese zu ergründen, zu leben und zu erleben, ist es wichtig, dass wir mit uns selbst Zeit verbringen. Alleine. All eins. Denn nur dann, wenn wir lernen Eins mit uns zu sein – all eins mit all unseren Ichs – können wir in eine fruchtbare Beziehung zu unserem sozialen Umfeld treten.
Spieglein, Spieglein an der Wand
Wir Menschen sind soziale Wesen. Wir brauchen das Gegenüber, um vieles von uns selbst zu erkennen. Zu lernen. Unser Verhalten im Außen gespiegelt zu sehen. Lächle und die Welt lächelt zurück. Das, was wir aussenden, werden wir durch unsere Umwelt zurückgespiegelt bekommen. Manchmal bewusster. Manchmal weniger bewusst. Oft ist es nämlich nicht so leicht die Selbstverantwortung für das eigene Denken und Fühlen zu übernehmen. Es braucht viel bewusste Achtsamkeit um in die Selbstbeobachtung einzutauchen und die Muster zu durchleuchten, die uns prägen.
Zeit für menschlichen Austausch
Allein sein macht gesund – fanden Forscher*innen heraus. Aus yogischer Sicht stehen wir mit anderen auf einer sehr feinstofflichen und subtilen Ebene ständig in Verbindung. Wir tauschen aus. Nicht nur Worte, sondern auch Emotionen, Gedanken, Gefühle, Körpersäfte. Deswegen brauchen wir auch Zeit, um diesen intensiven menschlichen Austausch zu verarbeiten.
Es ist wichtig regelmäßig wieder in unseren ganz eigenen Seinsraum zurückzufinden – damit wir uns selbst betrachten können und auch unterscheiden lernen: Was ist meines? Was ist deines? Wo bin ich über meine Grenze gegangen? Wo brauche ich eine Grenze? Denn eigentlich ist es so: Die erste Grenze, die wir zum Außen haben ist unser Körper. Manchmal ist es schön ihn an andere zu schmiegen, Liebe zu fühlen, berührt zu werden. Doch dieser Körper, den wir haben und der uns Leben als Menschen ermöglicht – ist alleine gekommen und wir alleine gehen. Das Baby windet sich alleine durch den Geburtskanal der Mutter. Der Alte macht alleine seinen letzten Atemzug, bevor seine Seele ins Brahman zurückkehrt. Deswegen ist es essentiell, deine Beziehung zum Alleinsein zu nähren. Du bist alleine gekommen und wirst alleine gehen – in tiefer Verbundenheit mit allem.
Durchs Atmen ins Atman eintauchen
Im Allein Sein geht es darum, die verschütteten Zugänge zu deinem höheren Selbst Atman zu öffnen, freizulegen, zu befreien, damit du Zugang hast zum All eins sein. Nämlich dann wenn du erkennst, dass du ein Teil der Schöpfung bist – immer verbunden mit allem – all eins statt allein. Spirituelle Praxis ist die meiste Zeit eine Sache des Alleingangs. Wir wollen im Atman aufgehen und in Brahman eingehen. Dort verwandelt sich das Alleinsein in pure Glückseligkeit, wenn wir unser Bewusstsein auf die gesamte Schöpfung ausweiten und in glückseliger Liebe die ganze Welt umarmen. Nur dann, wenn du lernst mit dir alleine zu sein, diese wichtigste aller Beziehungen zu pflegen und zu nähren, kannst du als zufriedenes soziales Wesen in die Gesellschaft gehen, um dich dort in all deiner Kraft zu zeigen.

All – eins – sein Rituale mit dir allein
- Schreiben. Eine der besten Möglichkeiten, um dich mit dir selbst zu verbinden und eine wertvolle Kommunikation herzustellen ist das Schreiben. Einfach darauf losschreiben. Ohne irgendwelche Ansprüche auf hohe poetische Kunst. Besorge dir dafür ein spezielles Tagebuch, das du in deiner geheimen Schublade aufbewahrst. Schaffe dir im Alltag oder mehrmals pro Woche Freiräume, in denen du dein Tagebuch zur Hand nimmst und einfach reinschreibst, wie es dir gerade geht. Einfach schreiben. Nicht denken. Ganz intuitiv.
- An einen Ort gehen, den du liebst und dort alleine Kaffee trinken und Menschen beobachten kannst. Ohne Smartphone, Facebook und andere Social Media Kanäle. Lerne, in welche Beziehung du mit dem Außen treten kannst, wenn du einmal still bist und kein Gegenüber hast, das dich reflektiert. Nimm ein schönes Buch mit. Einen Skizzenblock oder genieße das Dasitzen und beobachte. Beobachte die Menschen oder auch deinen eigenen Kopf (was in ihm vorgeht). Gewöhne dir an, schöne Orte auch für dich alleine aufzusuchen – du brauchst nicht immer jemanden, mit dem du deine Erfahrungen teilen kannst. Teile sie mit dir selbst – das nährt in der Tiefe.
- Meditation ist das beste Date mit dir selbst, sagte einst meine Sanskrit Lehrerin. Du kannst niemals erwarten, gute Dates mit anderen zu haben, wenn du dir nicht die Zeit für ein Date mit dir selbst schenkst. In der Meditation kannst du dich selbst sehr gut kennenlernen und atmen lernen. Mit dir selbst atmen lernen und auf dich selbst zurückkommen. Jeden Tag ist ideal. Von 10 Minuten bis zwei Stunden einfach abtauchen, in die Stille mit dir selbst.
- Badewannen-Momente mit dir selbst und deinen Gedanken nachhängen. Im Wasser dürfen unsere Emotionen frei fließen. Wir tauchen ab und ein. Massiere dich einmal pro Woche mit warmen Sesamöl und lege dich in eine heiße Badewanne mit Himalajasalz und Rosenblütenblättern. Zünde eine Kerze an, lausche einem Mantra aus deinem Phone und genieße die Heilung, die passieren darf, wenn du bewusst und still mit dir selbst verweilst.
- Alleine reisen. Es gibt nichts, das das eigene Selbstwertgefühl und das Vertrauen in deine Kraft stärkt, als alleine zu reisen. Wenn du beginnst, dich aus deiner vertrauen Umgebung heraus zu bewegen und damit aus deinen Mustern und Strukturen herausbrichst, hast du die beste Möglichkeit, um zu erkennen, was da noch alles in dir ist. Und bewusst deinen Ängsten zu begegnen, wenn du dich in fernen Ländern auf fremden Territorium bewegst. Denn wenn dein Kopf dir den Weg nicht mehr diktieren kann, dann musst du auf deine Intuition zurückgreifen. Das schafft einen nährenden Boden und unglaublich viel Vertrauen in deine eigene Beziehung zu dir selbst. Reise immer wieder alleine – damit du dich so stark wie die ganze Welt fühlst.
- Yoga Nidra ist der schlaflose Schlaf der Yogis. Es ist eine wunderbare Tiefenentspannungstechnik, die dich in das stille Alleinsein mit dir selbst führt. Dort kannst du nicht nur bewusst betrachten, wie es dir geht – körperlich, geistig, seelisch. Sondern auch wertvolle Heilungsimpulse setzen, die dich auf eine andere Ebene in deinem Sein bringen.
Fotocredit Sujetbild: Simon Migaj – unsplash.com
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