Das Wort “Vision” stammt aus dem Lateinischen. “visio” bedeutet soviel wie Anblick oder Erscheinung. Eine Vision ist somit ein Anblick unserer Zukunft oder vielmehr ein Anblick von dem, was wir uns für die Zukunft wünschen, für das wir uns begeistern und auch andere. Aber wie kommt man zu einer Vision? Was begünstigt oder blockiert sie? Sabine Bläsing hat darüber mit Leela Mata gesprochen. Hier findest du Auszüge aus dem Interview …
SB: Was verstehen Sie unter dem Begriff Visionen?
Leela Mata: Eine Vision sollte etwas sehr Inspirierendes sein – etwas, das dir helfen kann, dich in eine bestimmte Richtung hinzubewegen. Wenn du eine Vision hast, wird es einfacher, dich wirklich selbst zu motivieren. Die Vision zieht dich eigentlich. Die Vision ist immer an dein höheres Zentrum angebunden, speziell ans Ajna-Chakra. Das Ajnhttps://www.yogazeit.at/typo3/backend.phpa-Chakra hat die Kraft, all die anderen Zentren zusammenzubringen. Wenn du eine Vision hast, wird deine ganze Energie auf sehr ausgleichende Art und Weise organisiert.
SB: Gibt es aus Ihrer Sicht unterschiedliche Arten von Visionen?
Leela Mata: Ja, verschiedene Menschen haben verschiedene Visionen. Doch letztendlich führen uns alle Visionen zu unserem Wachstum, zu unserer Erleuchtung. Aber Menschen haben unterschiedliche Wege, dorthin zu gelangen, entsprechend ihrer spezifischen Talente, ihrer Berufung und dem, was sie inspiriert. Wenn du dem folgst, was du wirklich magst, was dir wirklich ein gutes Gefühl bereitet, ist das eine Inspiration. Und von da an – wenn du beginnst, Dinge in deinem Leben zu klären – wird die Vision anfangen zu wachsen. Die Vision wächst immer, und eine gute Vision wächst mit dir. Sie ist immer voller Leben und gibt dir Energie und Motivation – auf eine angenehme Art und Weise (lacht). Du fühlst dich nicht so, als ob du hart arbeiten würdest (lacht). Wenn du eine Vision hast, arbeitest du hart, aber ohne auf eine anstrengende Weise angetrieben zu sein – du fühlst dich immer inspiriert. Eine Vision zu haben ist sehr hilfreich in deinem Leben, da sie ihm Sinn und Leidenschaft verleiht. Bei visionärer Arbeit geht es darum, was ich geben kann, bauen kann, geschehen lassen kann, das eine positive Auswirkung auf die Welt hat.
SB: Welches Verständnis hat man in Ihrem Kulturkreis von Visionen?
Leela Mata: In meiner Kultur (Indien) hat Vision immer mit Gott zu tun, mit Realisierung, mit Kenntnis des Selbsts und einem harmonischen Hinarbeiten darauf. Wir nennen es „Darshan“, wenn du all die schöne Inspiration sehen kannst, fast wie eine Vision. Und „Darshan“ ist es, was uns motiviert. Für manche Menschen ist es wie eine Form, wie die Gestalt von Krishna oder von Rama, aber die Idee ist, Krishna in allen Aspekten der Schöpfung zu sehen. So ist es nicht nur ein Objekt, es ist etwas, das sich überall hinverteilt, auch in dir selbst. Das ist wirklich eine große kosmische Sichtweise und sogar noch darüber hinaus (lacht). Das ist es, was Vision in meiner Kultur bedeutet. Es ist etwas sehr, sehr Spirituelles – jeder will Gott dienen.
SB: Wozu können Visionen bei einem Menschen hilfreich sein?
Leela Mata: Die Vision hilft wie eine stabile Kraft. Sie ruft dich immer. Du fühlst dich nicht verloren oder deprimiert. Wenn du eine Vision hast, kommt Depression nicht zum Vorschein, weil du immer auf etwas Schönes schaust, auf das du dich hinbewegst. So hat eine Vision einen sehr großen Vorteil für unser Leben. Es ist wirklich wichtig, dass wir Kindern, wenn sie aufwachsen, eine Art Vision geben, damit ihr Leben immer aus ihnen selbst heraus ermutigt und motiviert ist.
SB: Kann man Visionen fördern? Wenn ja, wie genau fördern Sie Visionen bei den Menschen?
Leela Mata: Ja, du kannst Menschen unterstützen. Der Weg wäre zuallererst, dass du die Idee von Vision verstehst und davon überzeugt bist, dass jeder in der Lage ist, große Träume zu haben. So kannst du eine Umgebung schaffen, die ermöglicht, dass diese Art zu denken in die Person eingehen kann. Also eine gute Atmosphäre zu halten, dir Stille oder ein gutes Verständnis über dich selbst zu ermöglichen, dir dein Potenzial zu zeigen oder dir einen Weg aufzuzeigen, dein Potenzial zum Ausdruck zu bringen. Das förderliche Klima wird anfangen, dich und deine Vision zu erwecken. Und dann wirst du zum Träger dieses Gefühls, und wenn dir Menschen begegnen, wollen die von dir wissen, was es ist, das dich motiviert. Und wenn du realisierst, wie kraftvoll das ist, willst du es auch mit anderen teilen. Also die Vision ist: „Ich würde das gerne mit Menschen teilen; ich möchte, dass Menschen das wissen, um es zu verstehen.“ So wird dieses Teilen der Stille, des Friedens, das Gefühl von Vertrauen, innerer Zufriedenheit und Hingabe zu deiner Vision ein Weg, Menschen zu helfen, aus ihrem Leid rauszukommen. Aus diesem Gefühl werden erstaunliche Ideen und Projekte geboren.
SB: Was beobachten Sie bei den Menschen, mit denen Sie arbeiten?
Leela Mata: Große Emotionen (lacht) – die kann man immer sehen. Ich sage zu den Studenten stets: „Wenn du nur dich selbst auf die Weise betrachten könntest, wie ich dich betrachte, wärst du so glücklich – es gäbe keinen Grund für all das.“ Aber es ist ein Reinigungsprozess, ein Wachstumsprozess. Wenn sie sprechen, kommen mir manchmal Tränen – nicht weil ich traurig bin, sondern weil ich die Stärke der Hilflosigkeit sehe. Aber auf der anderen Seite ist man nicht hilflos.
So ist es immer, wenn du einen Kampf in dir austrägst: Dir selbst glauben, dir selbst nicht glauben – vertrauen oder nicht vertrauen. Da finden so viele Konflikte statt, und es gibt wirklich keinen Grund dafür, aber du weißt es jetzt noch nicht und deshalb gehst du da durch. Wenn ich auf die Menschen schaue, sehe ich das Göttliche in ihnen. Manchmal wird nur ein Wort gesagt, und all die Emotionen kommen hoch. Dann fühlen sie sich klarer und besser. In diesem klaren Zustand bekommen sie eine Ahnung von ihrer höheren Natur. Diese göttliche Natur ist es, die ich zum Vorschein bringen möchte.
SB: Gibt es Faktoren, die Visionen eher blockieren?
Leela Mata: Ja, die Qualität namens „Tamas“ – Schwere, Trägheit, nicht an sich selbst glauben. Es ist wichtig, über diese dunkle Qualität, die alles umgibt, hinwegzukommen – wir müssen sie durchdringen. Die Vision ist da. Göttlichkeit in dir ist da. Die Absicht ist da, alles ist da.
Aber es ist diese dicke Wand, die blockiert, durch die du gehen musst, in die du eindringen musst, sodass du wirklich sehen kannst.
In anderen Worten ist das Ignoranz. Das mag wie ein hartes Wort erscheinen, aber es ist wirklich Nicht-Wissen, wenn du nicht weißt, dass du dich selbst zu dem Ort hinbewegen musst, wo du wissen kannst. Und das braucht einige Anstrengung. Jeden Tag in unserem Leben muss einiges an Ignoranz geklärt werden. Wenn Nicht-Wissen beseitigt ist, können wir zu einem heiligen Ort gehen. Wachstum geht vom Nicht-Wissen zum Wissen. Ignoranz ist, dich selbst nicht zu kennen, zu denken, dass du klein und unbedeutend bist. Wissen ist, dein höheres Selbst zu kennen, um wirklich machtvoll und göttlich zu sein. So verläuft deine Reise im Leben von der Ignoranz zum Wissen, zur Erleuchtung. Und Vision wird verstanden als das Bild dieser großen Kraft, dieses große Werden in deinem Geist zu halten, um dich auf diese Weise zu ermutigen, dich darauf hinzubewegen. Und es zieht dich auch, weil es bereits da ist, tief in jedem einzelnen Individuum. Und nicht nur jedes Individuum als Person, sondern jede einzelne Kreatur hat das Göttliche in sich.
Das Göttliche arbeitet ständig, um sich selbst auszudrücken. Wir haben einen Spruch, der lautet, dass im Stein das Bewusstsein schläft. In den Pflanzen und in den Bäumen beginnt sie, sich zu bewegen. In den Tieren beginnt sie, mehr Ausdruck anzunehmen. Und in Menschen beginnt sie zu denken.
Dann beginnt das Problem, denn wenn wir zu denken beginnen, werden wir sehr egoistisch, da wir uns daran gewöhnt haben, ständig ums Überleben zu kämpfen. Und daher ist das Ego-Gefühl so wichtig geworden, im Sinne von: „Ich muss mich selbst schützen, etwas versucht mich zu kriegen.“
Aber von dort aus starten wir nun in mehr menschliches Bewusstsein. Wir beginnen für eine Familie zu sorgen und Stück für Stück beginnen wir, über unser Persönliches hinweg anderen zu helfen. Und so beginnt die Vision zu wachsen. Und was die Vision wirklich ist, ist das Wachsen von der Getrenntheit zu mehr Einheit. Diese Vision ist in jedem.
SB: Gibt es für Sie einen Unterschied zwischen Beruf und Berufung? Wenn ja, welche Rolle spielen Visionen in diesem Kontext?
Was Leela Mata darauf geantwortet hat und das ganze Interview findest du in unserer aktuellen Jänner Ausgabe der yoga.ZEIT. Gleich hier kannst du sie bestellen.
Mehr zu oder über Leela Mata findest du auf www.leelamata.com
Seminare und Workshops mit Leela Mata finden von März bis Mai bei Yoga Vidya Bad Meinberg statt.