Achtung: Dieser Artikel ist intim und könnte dich berühren!
Menschen und ihre Körper. Ich habe so viele davon berührt – es ist mein Job, Menschen zu berühren. Ehrlich gesagt besteht darin auch mein einziges Interesse. Egal ob ich Menschen massiere, sie in den Yogastunden korrigiere, sie im Handstand gen Himmel ziehe oder die Hand eines Liebsten halte – die Sprache der Berührung ist die echteste, die mir begegnet ist. Ich möchte berühren, berührt werden, berührt sein. Möchte riskieren, zu spüren was wirklich da ist, bei mir und anderen. Smalltalk gibt es wie Sand am Meer – eine echte Berührung manchmal nur einmal im Leben.
Touching V. I. P.s
Ich habe schon viele der wichtigsten Persönlichkeiten überhaupt massiert, Mütter zum Beispiel. Vor der Geburt der pralle Bauch voller Wunder, Verheißung und kleinen Beulen der Bewegung. Dann reicht es schon, eine warme Hand auf das Kreuzbein zu legen, um der Mutter einen tiefen Seufzer zu entlocken. Nach der Geburt ist der Bauch leer. Vorher war da dieses göttliche Wesen, das den Mutterbauch ausgefüllt hat. Wo ist es nun hin? Es ist so viel leichter, die Liebe auf ein anderes Wesen zu projizieren als auf sich selbst. “Bin ich genau so liebenswert wie mein Baby?” Ein Prozess aus Empfangen und Loslassen. Der Prozess, die unglaubliche Stärke in sich zu finden, um nächtelang ohne Schlaf
auszukommen oder Autos anzuhalten, wenn der Ball auf die Straße rollt. Tigermamas und
Tigerpapas, die ihre Körper hingeben, damit kleine Körper wachsen können.
Hast Du schon einmal den Bauch Deiner Mutter massiert? Den Ort an dem alles begann? Mit Gedanken wie “Da war ich drin! Danke, dass Du mich 10 Monate (!) in dir getragen hast, Deinen Körper, Deine Nahrung mit mir geteilt hast.” Der Körper meines Papas unter meinen Händen … mein Gott, ich habe so viel von ihm bekommen. Ich massiere „meine“ Hände, „meine” Füße – habe dieselben Beine. Dieser Körper hat sehr hart gearbeitet, um uns zu ernähren und dafür so viel Zeit, mit uns entbehrt. Und jetzt darf ich ihn berühren. Es ist so wichtig, unsere Eltern zu ehren. Allein schon dafür, dass sie unser Leben durch ihre Körper möglich gemacht haben. Sie haben uns ihre “Rippen”, ihre Milch, ihren Schweiß und ihren Schlaf geschenkt. Wusstest du, dass der Bizeps einer Mutter der stärkste Bizeps überhaupt ist? Wenn man konstant ein Kind bis mehrere Kinder durchs Leben trägt, braucht man kein Gewichtheben mehr.
Auch Schauspieler/innen und Musiker/innen waren unter meinen Händen. Die Gesichter, die jeder kennt und auf die jeder schaut. Ich habe das Sehnen nach Echtheit unter meinen Händen gespürt, die Maske wegmassiert, um darunter Falten, Sorgen und eigene Träume zu finden, die niemanden etwas angehen. Und das ist bei uns allen so. Wenn wir nackt sind, sind wir nur Mensch und es ist so egal was wir tun und woher wir kommen. Massieren ist wie Weihnachten. Mit jeder Berührung, jeder Streichung wird das Geschenk vor einem mehr ausgepackt. Und heraus kommt soviel pure (echte) Schönheit!
“Darf ich das” versus Grundbedürfnis
Die Frage, die ich von Leuten, die bei mir Massieren lernen, am häufigsten gestellt bekomme, ist, ob sie Menschen massieren dürfen, die Krebs haben und was sie dabei beachten sollen. Menschen mit Krebs, die dem Tod ins Angesicht schauen, die sich fragen: “Werde ich sterben? Werde ich allein sein, wenn ich sterbe?” Klar, man „darf nicht heilen“, „muss vorsichtig sein“, „mit dem Arzt sprechen“. Aber man
darf Menschen, die solchen Ängsten ausgesetzt sind, auch nicht alleine lassen.
Oder ältere Menschen, mit all ihren Falten und Geschichten auf ihren Gesichtern. Wer berührt sie, die alten Menschen in den Heimen? Wer berührt uns, wenn wir alt sind? Manchmal möchte ich so gerne meine Hände auf Deine Schultern legen, wenn Du vor mir an der Kasse stehst. Möchte Dich daran erinnern, dass Deine Schultern und Arme Deine Flügel sind, dass sie leicht sein dürfen. Ich möchte gern Deine Hand halten wenn wir an der Ampel stehen, weil ich spüre, dass Du Dich allein fühlst. Aber Du bist grad busy und möchtest lieber shoppen gehen. Manchmal möchte ich mutig sein und um eine Umarmung bitten, wenn ich traurig bin, auch wenn Du vielleicht mein Chef bist. Es gibt einen Teil in unserem Gehirn, der verkümmert, wenn wir keine Berührung austauschen. Und damit ist nicht primär Sex gemeint. Berührung ist ein Grundbedürfnis. Und dennoch haben wir keine Zeit, um den anderen zu massieren oder ihn zu halten. Sind zu stolz, um darum zu bitten, gehalten zu werden. Schlafen in getrennten Betten, weil wir Angst haben vor der Schönheit, gespürt zu werden und verletzlich zu sein.
Lass Dich berühren!
Die gute Nachricht ist, dass wenn wir etwas verlernt oder nie gelernt haben, dann ist es nie zu spät, es neu zu lernen. Wir können lernen, uns berührbar zu machen und zu berühren. Wir können lernen, zu umarmen, wenn Worte nicht reichen. Wir können mutig sein und unsere Wärme zu unserem höchsten Gut werden lassen. Denn diese Wärme kann man nicht kaufen. Unsere Körper, unsere Tempel. Ich tanze den Wind, atme den Duft der Bäume. Bin ein wildes Feuer, verbrenne mich selbst immer wieder zu einem Haufen aus Asche. Fühle den Ozean in meinen Venen. Ich bin die Erde. Wir sind die Erde. So wie wir mit unseren Körpern umgehen, so behandeln wir auch unsere große Mutter. Wann hast Du sie das letzte Mal berührt? Wann sie Sonne geschmeckt und Deine nackten Füße auf ihrem grünen Teppich gespürt? Mein Wunsch ist es, diese Worte lauter sein zu lassen als all die Plakate. Lauter als den Verrat an unserem Körper, den wir tagein, tagaus erleben.
Das, was wir von unserem Körper verlangen und erwarten, das alles sind Ideale, denen wir hinterher jagen, ohne uns zuzuhören, wer wir eigentlich sind, wer wirklich in unserem Körper wohnt. Wie wunderschön, wie perfekt, wie göttlich. Ich möchte halten, tragen, zärtlich streicheln, lockern, kneten, kreisen. Trauer spüren, Angst Raum geben, Lachen einladen.
Und manchmal möchte ich nur mich selbst spüren und in das eintauchen, was uns alle miteinander verbindet: Die große Berührung des Lebens, die uns irgendwann auch wieder sterben lässt.
Lasst uns den heutigen Tag nutzen und uns einander Wärme und eine Umarmung schenken. Einfach so, aus dem Grund, dass unsere Körper und wir in ihnen heilig sind.
Foto credits by Melanie Hoeld Photography
______________________________________________
Über die Autorin:
Lucie Beyer ist wohnhaft in Berlin und unterrichtet weltweit Workshops, Trainings & Retreats. Als zertifizierte Yoga-, AcroYoga-Lehrerin, Mentorin und leidenschaftliche Bodyworkerin verfolgt sie einen spielerischen Ansatz, der dennoch tief in den Traditionen wurzelt.
In ihrer Arbeit legt sie großen Wert auf ein heilsames, vertrauensvolles Miteinander, aus dem Menschen jeden Alters ihr volles Potential entfalten können.
“Ich liebe es magische Räume zu kreieren, in denen die Menschen zusammenkommen, um
das Leben zu feiern und es in seiner Schönheit zu würdigen!”
Lucie co-organisiert unter anderem das deutsche AcroYoga Festival “German Kula Celebration”.
Mehr Infos zu Lucie und ihren Events unter
www.yogamitlucie.de
Facebook Lucie in the Sky
Instagram yoga_mit_lucie
Lucie in the Sky TRAILER
yoga.ZEIT übernimmt keinerlei Gewähr für die Aktualität, Korrektheit, Vollständigkeit oder Qualität der bereitgestellten Informationen. Die Inhalte dieser Plattform dienen zu informativen Zwecken in redaktioneller Art und Weise und stellen somit keine Heilaussagen oder Versprechen zu Behandlungserfolgen und dergleichen dar.
Kommt yoga.ZEIT schon GRATIS zu dir nach Hause? Falls nicht, bestell dir jetzt hier dein GRATIS Abo unserer Printausgabe der yoga.ZEIT, die 2x im Jahr erscheint.