Der Weg ist nach wie vor beschwerlich. Für die 225 km von Delhi Richtung Nordosten benötigt der wackelige Bus eine ganze Nacht. Bei der Anreise mit dem Zug über Haridwar muss die letzte Etappe in die Yoga-Welthauptstadt – wie Rishikesh oft mit einem stolzen Augenzwinkern genannt wird – mit ortsüblichen Transportmitteln überwunden werden: warum nicht gleich mit der Rikscha!?
Dehradun, die Region im Bundesstaat Uttarakhand, in der Rishikesh liegt, ist kühler als die nordindische Tiefebene, die genau hier an den letzten Ausläufern des Himalaya beginnt. Ein frischer Hauch von Bergluft, ein atembarer Kontrast zu Delhi. Wären die Mopeds, Rikschas, Busse und wenigen Autos ebenso verpönt wie der Verzehr von Fleisch, würde der Besucher lediglich das Stimmengewirr der Händler hören, die überteuerte Devotionalien sämtlicher hinduistischer Götter oder kiloweise gebrannte CDs der aktuellsten Bhagavad-Gita-Verfilmung anbieten. Ab und an ist das Rauschen des grünblauen Ganges zu vernehmen, der bei der Lakshman Jhula Bridge endgültig sein Dasein als lebhafter Gebirgsfluss aufgibt, um dann über 2.400 km als achtsam fließender Fluss die Verstorbenen und alles, was sonst noch fließen möchte, geduldig aufzunehmen und den Tiefen des Golfes von Bengalen zu übergeben.
Der Stadt ist kaum anzusehen, dass sie das Zuhause von über 60.000 Indern ist. Die Brücken sind zu schmal, die Gassen mit Tempeln und Altären zu verstellt und die Bewohner zu unaufdringlich. Würde man all die Affen, die wie ihre artverwandten Menschenwesen auf Bänken, abgestellten Mopeds und Brückengeländern den Alltag über die Runden bringen, bei der nächsten Volkszählung mit einbeziehen, so wäre Rishikesh einwohnertechnisch gleich in einer anderen Liga.
Benannt wurde die Stadt nach Hrishikesha, einem Beinamen Vishnus, der mit „Meister der Sinne“ übersetzt werden kann. Eine weitere etymologische Quelle bietet das Wort „rishi“, was so viel wie „Weiser“ oder „Seher“ bedeutet. Zahlreiche Pilger brechen von hier aus zu den Quellgebieten des Ganges auf. Unzählige Yogis verbringen Tage,
Wochen, oft Monate in einem der Ashrams. Und all die anderen Reisenden finden eine geheimnisvolle Stadt vor, die von steilen Gebirgswäldern umfasst an einem der heiligsten Flüsse dieses Planeten liegt. Jeder spürt es: Dieser Ort ist besonders.
Swami Sivananda gründete am Westufer des Ganges einen Ashram und ein Krankenhaus, das auch heute noch Bedürftige kostenlos behandelt. Außerdem soll er hier seine Rishikesh-Reihe entwickelt haben – für viele die erste Berührung mit Yoga.
Fotos der Beatles in indischen Gewändern sind Ikonen einer Ära, die sich eben genau hier manifestiert hat. Auch wenn die Götter der Popkultur enttäuscht von ihrem Guru Maharishi Mahesh Yogi bald wieder verschwanden, war das die Initialzündung für eine nie versiegende Welle von Suchenden, die ihre ersten Gehversuche auf indischem Boden in Rishikesh machten, bevor ihr Weg in die Untiefen des Subkontinents führte.
Diese Stadt kann gut damit umgehen, heimgesucht zu werden – sie erhält sich trotzdem ihr äußerst authentisches spirituelles Gesicht. Der Satsang vor der riesigen Shiva-Statue am Ufer des Ganges, den bis zu 100 Kinder des Ashrams Parmarth Niketan jeden Abend gestalten, ist so selbstverständlich wie das Chaos am Busbahnhof.
Nach Rishikesh zu kommen, um Yoga zu praktizieren und zu erleben, haben sich viele der Besucher vorgenommen. So ist es kein Wunder, wenn man in einem der kleinen Restaurants über dem Ganges (die mehr an einen Bretterverschlag erinnern) einer hollywoodverdächtigen Diva gegenübersitzt, ganz ohne Bodyguards, aber stilgerecht im perfekt gestylten Indien-Look – mit Understatement, versteht sich.
Rishikesh ist „easy“ – vom Morgenmeditationsspaziergang am Ganges zur ersten Yogaklasse in Ashram oder Yogaschool ist nur ein Affensprung. Unterkunft findet man in dezenten Hotels oder Guesthouses, die
oft Teil eines Ashrams sind, nur etwas bequemer. Viele Regeln der meisten „echten“ Ashrams von Rishikesh erscheinen anfangs eher streng, dienen aber meist zur Regulierung des nie versiegenden Yogi-Stromes. So etwa das Verbot im Yoga-Niketan-Ashram, länger als drei Monate zu bleiben: eine vorbeugende Maßnahme gegen das „Parasit-Yogi-Syndrom“ von Suchenden, die nicht rechtzeitig verstehen, dass ein Ashram kein billiges Hostel ist. Findet man jedoch seinen indischen Yogameister, bleibt man an die 12 Jahre – heutzutage eher eine Seltenheit.
Neben den bereits erwähnten Ashrams gibt es noch eine Vielzahl anderer, die meist entlang des Ganges liegen. Es empfiehlt sich, vorab in Erfahrung zu bringen, welcher Ashram der passende für die eigenen Bedürfnisse ist. So reicht der Bogen vom Hostelfeeling, wo der Waschraum, die Yoga-Hall und die Schlafstatt mit Jung-Yogis aus Japan oder Israel geteilt werden, bis zum hochspirituellen Kraftort, wo asketische Swamis in strenger Stille den Tagesablauf vorgeben.
Rishikesh hat sich hinter den Kulissen in den letzten Jahren zum „St. Moritz von Nordindien“ gemausert. Reiche Inder besitzen hier Ferienhäuser und haben so auch dem Adventure-Tourismus einen kräftigen Schub gegeben. Auch wenn man sich als Suchender in Rishikesh vom Angebot der Rafting-Unternehmer mit gerümpfter Nase abwendet, kann eine Schlauchbootfahrt in der kristallklaren Gischt des Ganges zu einer äußerst spirituellen Erfahrung werden.
Rishikesh ist der perfekte Einstiegsort für jeden, der Indien erfassen will – auch wenn das in einem Leben kaum möglich ist.
Fotocredit Sujetbild: Brian Mann
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