Vorher. Nachher.
Ich kann mich kaum mehr daran erinnern, wie das Leben vor dem Mama-Sein war. Ich weiß noch, ich hatte für mich unendlich viel Zeit, viele (wenn nicht zu viele) Momente, um über das Leben nachzudenken und darüber, wie ich noch eine bessere Version von mir selbst werden könnte. Ich war unerfahrener, unabhängiger, freier. Irgendwie hatte ich eine ganze Menge Ziele und Träume und alle schienen noch so lange Zeit zu haben, um verwirklicht zu werden. Nichts war konkret. Alles war möglich. Und ja, in manchen Momenten, vermisse ich dieses Sein, das fast schon einen romantischen Touch hat, wenn ich so darüber nachdenke.
Es heißt, Frauen durchliefen einen tiefen, tiefen, sehr tiefen Transformationsprozess, wenn sie Mütter werden. Danach ist nichts mehr wie davor und so soll es auch sein. Ich verstehe das Bedürfnis vieler Frauen, wenn sie sich nach der Geburt und vor allem im ersten Jahr mit Kind nach ihrem alten Leben sehnen. Nach dem alten Ich. Nach der unabhängigen Frau, die im Grunde nur die Verantwortung über ihr eigenes Leben trägt. Die tun und machen kann, wann, was, wie und mit wem sie will. Denn da ist nur sie. Und sie allein. Zumindest ging es mir so und an manchen Tagen war diese Sehnsucht so groß, dass ich einfach auf einen imaginären Delete-and-Reset-Button drücken wollte, um mein altes Leben wieder zu haben.
Doch wie es nun mal mit großen Veränderungen im Leben ist: Es gibt keinen Weg zurück. Das alte Leben kommt nie wieder zurück. Nie wieder. Auch wenn Frau versucht, sich immer wieder daran festzuklammern und es herbeizuwünschen. Denn Frau ist nicht mehr die Alte. Frau ist die Neue. Und wie das nun mal so ist, brauchen Gedanken, Gefühle und Seele eine gewisse Zeit, sich an das Neue zu gewöhnen und darin die eigenen Spielregeln zu finden. Muster. Vorgehensweisen. Das Mutter-Sein ist eine neue Identität. Es ist fast so als würde Dich jemand aus Deiner gewohnten Umgebung rausreißen und Dich in ein fremdes Land mit fremder Sprache und fremder Kultur werfen. Du bist verloren, suchst nach allem, was dir Halt gibt. Stundenlange Gespräche mit anderen Mamis. Spielgruppen. Fachzeitschriften. Beratungen. Deine Welt hat sich zutiefst verändert. Du musst loslassen. Dich selbst neu gebähren und lernen, die Neue in Dir anzunehmen. So wie Dein Kind das Leben kennenlernt, lernst Du das Leben auf eine neue Art kennen. Mutter-Sein will gelernt sein, gelebt sein. Es ist nicht einfach da nach der Geburt. Es ist ein Prozess.
Am Anfang ist da viel Angst. Unsicherheit. Schmerzhafte Momente der Orientierungslosigkeit. Verzweiflung. Und egal wie viele Bücher Du über das Mutter-Sein vorher, nachher oder mittendrin liest – Du musst, darfst selbst für Dich einen Weg finden, diese neue Identität zu verinnerlichen und Dich in ihr als neue Frau – als Mama-Frau – zu finden. Ich habe rund 15 Monate dafür gebraucht. Und es war der wohl bis jetzt intensivste Prozess meines Lebens. Schwierig. Schmerzhaft. Doch ich wusste, ich musste da durch. Einen Weg zurück gab es nicht. Nur so konnte ich die Neue werden, die ich für mein Kind und mich sein wollte. Im Yoga gibt es dieses schöne Bild des Lotus, der aus dem Schlamm in seiner schönsten Schönheit erblüht. Oft müssen wir tief tauchen, um stärker, schöner, kraftvoller und ganzer bei uns selbst anzukommen. Ich lernte in meinem Schlamm zu wühlen, ihn anzunehmen und jeden Tag mi viel Geduld, Verzweiflung, Freude, Traurigkeit und Hoffnung die richtigen Samen zu setzen, um daraus einen „Mama-Lotus“ wachsen zu lassen. In Pink.
Ich kann mich noch an die Momente erinnern, als ich mit meinem Säugling in meinem Lieblingscafé saß und statt meinen Latte gemütlich zu genießen, nur damit beschäftigt war, ihn zu stillen, seine Windel zu wechseln und ihn zu unterhalten. Ich weiß noch, wie sehr ich mir wünschte, einfach nur auf dem Sofa zu liegen und einen Film von Anfang bis Ende zu sehen, ohne 100 Mal auf Pause zu drücken, weil mein Kleiner nach dem abendlichen Einschlafritual doch noch 100 Mal aufwachte. Ich weiß noch wie es war, meine Besorgungen sehr schnell zu erledigen anstatt für alles doppelt so lange Zeit zu brauchen. Und wie befreiend es war, einfach die Schuhe und die Jacke anzuziehen und aus dem Haus zu gehen ohne die tausend anderen Dinge, die Mama zusätzlich zu ihrem Kind immer mit sich herumschleppt. An die Momente, in denen ich stundenlang auf der Brust meines Partners lag und dabei einschlief kann ich mich fast schon nicht mehr erinnern, denn sie wurden nach der Geburt von jenen abgelöst, in denen mein Sohn auf meiner Brust einschlief. Mit all diesen „Altes-Ich-Erinnerungen“, Momenterfahrungen und Kämpfen sind die meisten Frauen alleine, denn sie durchlaufen den Prozess des Mutter-Seins und die wenigsten wissen vorher, was sie nachher erwartet.
Ich vermisse mein altes Ich manchmal. Doch je älter mein Sohn wird, desto blasser wird die Erinnerung daran und desto realer wird mein neues Ich. Mein Mama-Ich. Ich versuche manchmal kurze Augenblicke meines alten Lebens zu erhaschen: Ausgehen. Mit einer Freundin ausgehen. Alleine shoppen. Zum Frisör gehen. Mit dem Auto fahren und laut Musik hören. Yoga machen. Ich genieße dieses Alleinsein. Es ist befreiend. Tut gut. Gibt mir die Möglichkeit mich aufzutanken. Doch jedes Mal – spätestens nach einer Stunde weg von meinem Kind – erkenne ich: Ich bin nicht mehr die Alte. Und ich will es auch nicht mehr sein. Es ist gut, die Neue zu sein. Viel Zeit mit meinem Kind zu verbringen. Gelernt zu haben, dass die Bedürfnisse eines anderen Menschen vor meinen kommen. Dass es nichts mehr gibt, was ich an mir vervollkommnen muss, denn es ist genau gut so, wie ich bin. Denn genauso braucht mich mein Kind. Die Neue in mir hat gelernt, ohne Angst und Zweifel die Verantwortung für einen anderen Menschen zu übernehmen. Sie hat den Mut bekommen, Nein und Ja zu sagen. Sie hat die Fähigkeit entwickelt, ihre Zeit effektiv zu gestalten und schnelle Schritte zu gehen, anstatt stundenlang zu träumen und niemals auf der Erde anzukommen. Nein, ich vermisse die Alte nicht mehr, denn die Neue ist die viel bessere Version von ihr. Und eigentlich ist sie diese Version von mir, nach der ich mich Vorher immer gesehnt hatte.
Fotocredits: Nives Gobo
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