Wünschst du dir manchmal, du könntest mehr in deiner Mitte ruhen? Sehnst du dich nach einem Anker, der dir im stressigen Alltag und bewegten Lebenssituationen Halt gibt?
Die fernöstliche Philosophie bezeichnet unsere Mitte, unser Kraftzentrum als „Hara“. In diesem Text verrät dir Tobias Frank, was es damit genau auf sich hat. Darüber hinaus teilt er 8 Übungen mit dir – Übungen, die dir helfen können, dich zu zentrieren und Halt durch dein Hara zu finden.
Quelle des Lebens & Sitz der Intuition
Der Begriff „Hara“ stammt aus dem Japanischen. Er kann sowohl mit: “Bauch” als auch mit “Quelle des Lebens” übersetzt werden. Manche Quelle belegen, dass das Hara anatomisch ca. vier Finger breit unter dem Bauchnabel liegt. In der chinesischen Medizin gilt das Hara als Tor der Lebensenergie „Qi“ und als Sitz unserer Intuition. Es ist das weibliche Yin-Prinzip, das in sich ruht und mit Qualitäten wie „Fühlen“, „Weichheit“ oder „Nichts-Tun“ verbunden ist – im Gegensatz zum zielgerichteten, nach außen wirkenden geistigen Yang-Prinzip.
Die Doppeldeutigkeit des Begriffs – Bauch und Quelle des Lebens – offenbart ein grundsätzlich anderes Weltbild als das, mit dem die meisten von uns aufgewachsen sind. Im Westen hat der Bauch eine überwiegend untergeordnete Rolle und ist in erster Linie für die Verdauung und Verwertung unserer Nahrung zuständig. Als Schaltzentrale aller bewussten und unbewussten Körperfunktionen werden immer noch Kopf und Gehirn angesehen.
Bauchgefühle & Bauchentscheidungen
Zwar sprechen wir auch im Westen von „Bauchgefühl“ und von „Bauchentscheidungen“. Persönlich kenne ich jedoch nicht allzu viele Menschen, die dem eigenen Bauch vertrauen. Lieber Verstand statt Intuition walten lassen!
Auch die Wertschätzung des Bauches ist in unterschiedlichen Kulturkreisen anders: Im Osten werden Buddha-Figuren gerne mit dickem Bauch dargestellt, weil er ein starkes Hara und eine Fülle von Energie symbolisiert. Im Westen hadern dagegen viele mit dieser Körper-Region. Ein dicker Bauch entspricht nicht dem gängigen Schönheitsideal; viele schämen sich, Bauch zu zeigen, wenn die Bikini-Saison losgeht.
Für zahlreiche Menschen ist das Verhältnis zum Bauch angespannt. Im wahrsten Sinne – sie leiden unter physischen Verspannungen im Bauchraum, die Ausdruck eines zwiespältigen Verhältnisses zu den eigenen Gefühlen sind. Nichts-Tun ist deshalb so herausfordernd, weil es ins Fühlen bringt. Das kann Emotionen wie Angst, Trauer oder Wut nach oben bringen, denen wir im Alltag durch vielfältige Ablenkungen zu entfliehen suchen.
Zuhause der Gefühle & Energiespender
Während man früher dachte, es sei hauptsächlich das Gehirn, das unsere Emotionen steuert, gehen Wissenschaftler/innen heute davon aus, dass der Darm einen entscheidenden Anteil daran hat. Denn ein wichtiger Botenstoff für das Glück ist Serotonin. Dieses Hormon kommt zu 90 Prozent im Darm vor und wird dort gespeichert, wie Andrea Christiansen in ihrem Buch „Bauchmassage“ schreibt. Dieser Neurotransmitter wirkt sowohl auf Herz-Kreislauf-System, Magen-Darm und das zentrale Nervensystem. Serotonin steuert den Grad der Zufriedenheit, der inneren Ruhe und Sicherheit. Umgekehrt kann ein Mangel an Serotonin Ängste, Aggressionen und depressive Verstimmungen zur Folge haben.
Den Bauchraum kann man natürlich nicht nur aus wissenschaftlicher, sondern auch aus energetischer Perspektive betrachten. Ist der Mensch ausgeglichen, zentriert und fokussiert, ist er in Kontakt mit seinem Hara, beschreibt René Hug in seinem Buch „Yin Restorative Yogatherapie – Quelle des Daseins“. Befindet er sich jedoch in einem unausgeglichenen Zustand, wird zu viel Leberenergie produziert. Das Qi sammelt sich im Oberkörper; mangelnde Erdung, Gereiztheit und Konzentrationsschwäche können die Folgen sein. Jegliches Handeln wird mühevoll und schnell ermüdend.
Hara stärken & Yin-Yang-Ausgleich
Wie jedoch ist es möglich, das Hara zu stärken? Für mich gilt: Yin und Yang in Einklang zu bringen. Es geht darum, den Bauchraum zu entspannen und ein Stück weit raus aus dem Kopf und rein in den eigenen Körper zu kommen. Das hilft, intuitiver und zugleich glücklicher zu leben.
Wenn du bereits über ein starkes „Hara“ verfügst, steht dir so viel Energie zu Verfügung, dass du außergewöhnliche Dinge tun kannst – so wie japanische oder chinesische Meister beziehungsweise Shaolin-Mönche, die in der Lage sind, ihre Energie so stark zu bündeln, dass sie damit Bretter oder Ziegelsteine zerschlagen.
Auch in meiner eigenen Arbeit – der Thai Yoga Körperarbeit – kommt dem Hara eine entscheidende Bedeutung zu: bin ich in meinem Hara zentriert, ist es mir ohne Probleme möglich, eine zweistündige Thai Yoga Session zu geben, ohne mich dabei zu verausgaben. Ich kann sowohl energetisch als auch emotional auf einer tiefen Ebene mit anderen Menschen arbeiten. Ohne diese Verbindung kann mich eine solche Session jedoch außer ordentlich anstrengen und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass ich mich anschließend leer und erschöpft fühle.
Übung: Den goldenen Ball bewegen
Eine kraftvolle Übung, um dich in deinem Hara zu zentrieren, habe ich von meinem Kollegen Till Heeg gelernt:
Sitze bequem im Fersensitz (auch gerne erhöht auf einem Kissen). Stell dir nun einen goldenen Energieball zwei Finger unterhalb deines Bauchnabels – ungefähr auf Höhe des 3. Lendenwirbels – vor. Atme ganz bewusst einige Atemzüge in diesen Ball und lenke deine Aufmerksamkeit auf diese Körperstelle.
Beginne mit der nächsten Einatmung den Ball sanft nach vorne Richtung Bauchdecke zu schieben. Nutze dazu die muskuläre Energie deine Bauches – achte darauf, keine unnötigen Spannungen aufzubauen. Halte den Ball einige Atemzüge dort und lass ihn mit der Ausatmung zurück zur Mitte gleiten. Mit der nächsten Ausatmung schiebe den goldenen Ball sanft Richtung Körperrückseite und bleibe dort. In der Ausatmung komm wieder zurück. Ähnlich kannst du mit den Bewegungsrichtungen links – rechts verfahren. Nach etwas Übung kannst du auch schneller werden und mit jeder Ein- und Ausatmung den Ball bewegen.
Sobald du mit dieser Übung vertraut bist, probiere gerne eine fortgeschrittene Variante aus. Hierbei verbinde die Bewegung des Balls mit dem „Microcosmic Orbit“, einer taoistischen Atemübung: In der Einatmung lass den Ball die Rückseite deiner Wirbelsäule nach oben bis zur Krone deines Kopfes fließen, in der Ausatmung die gesamt Vorderseite des Körpers nach unten bis zum Beckenboden. Lass den goldenen Ball und deinen Atem auf diese Weise einige Zeit lang zirkulieren.
7 weitere Ideen für eine entspannte Mitte
Hier habe ich noch 7 weitere Ideen für dich, wie du dein Hara stärken kannst. Grundsätzlich hilft dir alles, was dich mit den Yin-Qualitäten wie „Loslassen“, „Fühlen“ und „weich werden“ verbindet:
- Die Erdungsübung: beim Erden stellst du einen bewussten Kontakt zur Erde her. Das kannst du dir physikalisch wie einen Blitzableiter vorstellen, der überschüssige Energie (z. B. in Kopf und Oberkörper) in den Boden lenkt und dadurch ein energetisches Gleichgewicht schafft.
- Die Sanduhr: die Sanduhr ist eine andere kraftvolle Visualisierung, die dich dabei unterstützen kann, das Qi aus dem Kopf ins Hara zu lenken. Wie die Übung funktioniert beschreibe ich genauer in diesem Blog-Artikel
- Hara Meditation: eine Meditation, die das Hara stärkt und ich besonders gerne praktiziere , ist die Hara-Meditation von Anando Würzburger
- Pratyahara: das Zurückziehen der Sinne hilft dir mehr zur Ruhe, ins Spüren und in dein Hara zu kommen. Schenke Dir Zeiten, in denen Fernseher, Computer und Smartphone ausgeschaltet bleiben und du deinen Affengeist auf Diät setzt
- Selbstmassage: besonders wirkungsvoll ist auch eine Selbstmassage des Bauches, die du mit oder ohne Öl ausführen kannst. Zur Verdauungsförderung kannst du beispielsweise eine langsame Kreisbewegung im Uhrzeigersinn ausführen und ansonsten deiner Intuition freien Lauf lassen. Das bereits genannte Buch „Bauchmassage“ von Andrea Christiansen bietet hier noch mehr praktische Vorschläge.
- Yin-Yoga: Yin-Yoga ist eine Praxis, bei der der Fokus auf dem Loslassen und Nichts-Tun liegt. Hüftöffnende Positionen und Dehnungen des Bauchraumes können dich beim Entspannen des Hara unterstützen
- Nichts-Tun: Vielleicht schenkst du dir ab und an 10 Minuten am Morgen direkt nach dem Aufwachen oder am Abend vor dem Einschlafen, um einfach nichts zu tun, die Aufmerksamkeit in deinen Bauchraum zu bringen und zu spüren
Seminar-Tipp *** Seminar-Tipp *** Seminar-Tipp ***
Zurück zur Mitte – Thai Yoga für die inneren Organe
mit Julian Welzel & Tobias Frank
Chi Nei Tsang ist eine achtsame Form der Bauchmassage, mit der du andere Menschen auf dem Weg „zurück zur Mitte“ unterstützen kannst: Mit tiefen, sanften Massagegriffen werden Energielinien und -Punkte als auch zusätzlich Organe, Muskeln, Sehnen, Faszien, Lymphbahnen und vieles mehr im Bauchraum massiert.
Termin: 18.-19. November, 10-18 Uhr (inklusive Mittagspause)
Ort: Blaue Mühle, Mühlenstraße 17, 52385 Nideggen-Embken
Preis: 190 Euro (Frühbucher bis 31. Oktober), regulär 220 Euro
Anmeldung: tobias@thaiyoga.de
Über den Autor:
Tobias Frank Lehrer, Body Worker und Autor des Buches “Thai Yoga – Körper & Seele berühren”. Kostenlose Leseprobe und den Gratis Videokurs “Loslassen leicht gemacht” findest du auf www.thaiyoga.de
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